Der Wald - ein Nachruf
vergleichbar mit der Amputation unserer Beine ist. Eichen etwa, die sich normalerweise sehr tief im Boden verankern, wurzeln fortan nur noch flach. Damit können sie sich nicht mehr richtig festhalten und Stürme haben bei größeren Bäumen ein leichtes Spiel. Zudem leiden sie unter Wassermangel, da das Wasser in den tieferen Bodenschichten für sie unerreichbar bleibt. Kommt nun noch ein vorgeschädigter Boden hinzu, so ist späteres Siechtum vorprogrammiert.
Das hier Dargestellte gilt für jede Baumart, die in einer solchen Plantage aufwächst. Sagte ich Plantage? Dieser Begriff wird meiner Erfahrung nach von Förstern vehement abgelehnt. Für sie sind Plantagen diese Pseudowälder in Entwicklungs- oder Schwellenländern wie Brasilien oder Indonesien, also Eukalyptus pflanzungen oder Ölpalmenfelder auf ehemaligen Regenwaldstandorten, für die Orang-Utans ihre Heimat verloren haben. Und das kann man doch mit unseren Wäldern wirklich nicht vergleichen …
Der Boden, in den die Bäumchen gesetzt werden sollen, erfährt nach der Holzernte oft weitere Schädigungen. Zur Vorbereitung der Pflanzung kommt nach wie vor eine Methode zum Einsatz, die offiziell als antiquiert und zu brutal gilt – die Flächen räumung. Nach einem Kahlschlag liegen Äste, Baumkronen und Stümpfe kreuz und quer herum. Zwar könnte man einfach in die Lücken dazwischen pflanzen, gerade Reihen sind so aber nicht möglich. Deshalb wird eine Planierraupe eingesetzt, die das ganze Gewirr kurzerhand auf Wälle schiebt. Dass dabei die Humusschicht gleich mit beseitigt wird, nimmt man billigend in Kauf. Der Boden liegt anschließend plan und hindernisfrei wie ein Gemüsebeet da.
Das empfindliche Erdreich ist nun zum zweiten Mal völlig platt gefahren worden, doch in manchen Betrieben ist dann immer noch nicht Schluss. Um Kosten zu sparen, werden die Setzlinge nicht von Hand gepflanzt, sondern von großen Maschinen. Nach dieser dritten Befahrung ist die Bodenstruktur endgültig und nachhaltig zerstört. Die Bäume werden zwar wachsen, aber zeitlebens kränkeln. Und die überschäumende Artenvielfalt in den Böden früherer Urwälder ist für alle Zeiten dahin.
Die jungen Buchen, Eichen oder Fichten bergen selber noch ein weiteres Problem. Denn die Baumschulpflanzen verfälschen den Genpool der Waldgebiete, in die sie gesetzt werden. Es gibt bei jeder Baumart viele verschiedene Rassen, die sich im Lauf der Jahrtausende an die einzelnen Regionen angepasst haben. Buchen aus dem Alpenraum haben andere Eigenschaften als ihre Kollegen an der Ostsee. Durch diese Vielfalt ist das Überleben der Art gut gesichert, denn egal was kommt, gibt es immer Exemplare, die mit veränderten Bedingungen zurechtkommen werden.
Die kommerziell vermehrten Setzlinge stammen hingegen alle von wenigen, amtlich anerkannten Saatgutbeständen ab. Das sind kleine Parzellen mit alten Bäumen, die bestimmte forstwirtschaft lich gewünschte Qualitäten besitzen. Gerade, dicke Stämme, schnelles Wachstum, so etwas lässt sich gut verkaufen. Und damit möglichst viele Forstbetriebe davon profitieren, werden die Samen dieser ausgewählten Bäume an die Baumschulen verkauft. Aufgrund der wenigen behördlich genehmigten Erntebäume wird ein genetischer Einheitsbrei erzeugt, der in die Wälder hinausgetragen wird. Dort vermischen sich die Neuankömmlinge nach Erreichen der Geschlechtsreife mit den heimischen Rassen und löschen diese auf lange Sicht aus.
Nun stehen sie also in Reih und Glied, die kleinen Waldbäume. Von Natur aus wären sie ab jetzt streng durch ihre Eltern erzogen worden. 100 und mehr entbehrungsreiche Jahre wären vergangen, in denen ihre Stämmchen zäh und knorrig heranreifen würden, in denen sie lernten, Wasser sparsam einzusetzen, und nur langsam größer würden. Stattdessen herrscht in der Pflanzung Überfluss. Die pralle Sonne gibt reichlich Gelegenheit, Fotosynthese zu betreiben und energiereiche Zucker aufzubauen. Nährstoffe aus dem Boden gibt es ebenfalls in Hülle und Fülle, da die dicke Humusschicht des früheren Altwalds im hellen Tageslicht rasant abgebaut wird und mehr Mineralstoffe freigibt, als die Setzlinge aufnehmen können. Das ist reines Doping, und so wun dert es nicht, dass die Bäumchen rasch wachsen. Genau das ist ja auch beab sichtigt. Denn die Pflanzung stellt für den Forstbetrieb eine Inves tition dar, die verzinst werden will. Je länger es dauert, bis Holz geerntet werden kann, desto weniger rentiert sich diese Form der Geldanlage.
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