Der Wald - ein Nachruf
Geschwindigkeit ist also Trumpf und der »Turbowald« das Ziel.
Ohne die schützenden Altbäume drohen den jungen Bäumen jedoch etliche Gefahren. Etwa von Mäusen, die sich auf sonnigen Kahlschlägen pudelwohl fühlen und daher massiv vermehren. Ursache ist der Bewuchs mit Gras, das in alten Wäldern praktisch nicht vorkommt. Dort ist es zu dunkel für diese Steppenpflanzen, weshalb es auch kaum Kleinsäuger gibt. Je mehr Gras auf den Freiflächen wächst, desto wohler fühlen sich die Mäuse. Sie können dann ihren Feinden, Füchsen oder Eulen, prima ausweichen, sich verstecken und unentdeckt fressen. Vertrocknen die Kräuter und Stauden im Herbst, dann machen sich die Nager über die Wurzeln der Setzlinge her, in denen kalorienreiche Reservestoffe gespeichert sind. Die Tiere nagen die Bäumchen regelrecht ab und im kommenden Frühjahr treibt kein einziges Blatt mehr aus.
Kahlschläge sind also nicht besonders günstig und es wäre besser, wieder mehr Schatten spendende Altbäume auf den Flächen zu belassen. Viele Förster möchten aber trotzdem an der radikalen Abholzung festhalten, denn einerseits haben sie das so gelernt und andererseits kommt so schnell viel Holz zusammen. Außerdem macht dieses Vorgehen weniger Arbeit. Doch auch sie erkennen Gras als ein Problem, können den alten Spruch für Pflanzungen zitieren: Licht – Gras – Maus – aus. Das Gras wurde über Jahrzehnte mit Herbiziden bekämpft, aber das ist nicht mehr salonfähig und wird kaum noch gemacht. Deshalb werden nun direkt die Mäuse angegangen, und zwar mit Giftködern. Der entsprechende Wirkstoff ist Zinkphosphid, mit dem Sonnenblumenkerne oder Linsen behandelt werden. Fressen die Mäuse diese vermeintlichen Leckerbissen, verbluten sie innerlich.
Massenpflanzenhaltung
Mittlerweile sind die Bäumchen angewachsen und der erste Stress des Lebens legt sich allmählich. Doch wie geht es nun weiter? Von schützenden Elternbäumen keine Spur, keine unterstützende Wurzel eines Altbaums in der Nähe.
Mich erinnert das an Massentierhaltung. Dort werden ebenfalls Lebewesen in großer Stückzahl produziert, in großen Hallen zusammengepfercht und möglichst schnell zu Schnitzeln und Salami gemästet. Keine Muttersau, die den Ferkeln den rechten Weg weist, geschweige denn eine Partnersuche oder gar eigener Nachwuchs, nein, die Landwirte gönnen den intelligenten Geschöpfen nur einen winzigen Ausschnitt ihrer Gefühlspalette. Das erste Lebensjahr ist erst zur Hälfte vorüber, da werden die ängstlich quiekenden Borstentiere schon ins Schlachthaus ge bracht, mehr gibt es für sie nicht vom Leben.
Die kleinen Fichten oder Eichen finden sich unter ganz ähnlichen Umständen wieder. Wo im Urwald die Elternbäume bremsend einwirken, können die jungen Bäume nun ungezügelt nach oben streben. Gesund ist das nicht und das Potenzial, uralt zu werden, haben Plantagenbäume nicht. Ganz wie bei den Schweinen verkürzt sich die Spanne auf einen Bruchteil der natürlichen Lebenserwartung. Waren es zu Beginn meiner Studienzeit noch 100 bis 120 Jahre, die man Fichten zugestand, so sind es heute nur noch 80 Jahre und erste Förster fordern die Reduzierung auf 60.
Wenn die Eltern fehlen, gibt es auch keine Erziehung. Die jungen Bäume wachsen nicht nur schnell, sondern oft auch krumm und schief. Einige bilden sogar zwei oder mehr Gipfeltriebe, wo durch im Lauf der Jahre kein vernünftiger Stamm entstehen kann. Werden diese Bäume irgendwann geerntet, um im Sägewerk zu enden, macht sich die fehlende Erziehung in der Kasse des Forstbetriebs bemerkbar. Denn wer will schon krumme Balken oder schiefe Möbel haben? Also machen sich Förster und Waldarbeiter daran, die widerspenstigen Zöglinge zu bändigen.
Pro Hektar wachsen 3 000 bis 5 000 Jungbäume heran. Selbst wenn 80 Prozent eine unnatürliche Gestalt aufweisen, gibt es immer einige, die normal wachsen. Sie sind gerade, mit nur einem Trieb und nicht zu dicken Seitenästen, ganz wie es eigentlich sein sollte. Und genau diese Bäume erobern die Herzen der Förster, werden markiert und erhalten das Prädikat Z-Baum. Z steht dabei für Zukunft, denn nur diese Exemplare spielen in den nächsten Jahrzehnten eine größere Rolle. Ihre Nachbarn werden nach und nach gefällt. Eines Tages sind die Zukunftsbäume dann unter sich, haben Platz, Licht und Luft im Überfluss und wachsen zu prächtigen Bäumen heran. Ihre Stämme lassen das Herz jedes Sägers höherschlagen und erzielen gute Preise.
Und nun die
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