Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
Vom Netzwerk:
ab. Auf verdichteten, trockenen Böden kümmern die Bäume vor sich hin, wäh rend sie auf lockeren, schön feuchten Böden regelrecht emporschießen. Laut Forschungsergebnissen der TU München, vorgestellt in der Sendung »Raubbau am Wald«, verliert das Erdreich nach einem Maschineneinsatz bis zu 95 Prozent seiner Wasserspeicherfähigkeit. 7 Anschließend wächst der Wald deutlich langsamer, bringt damit auch erheblich weniger Gewinn, aber das betrifft die ferne Zukunft und macht sich nicht sofort in der Kasse bemerkbar. Das wollten wir in Hümmel aber nicht riskieren, so kurzfristig mochte hier niemand denken.
    Um uns von unserem Kurs abzubringen, drohte das Forstamt mit dem Entzug von staatlichen Fördermitteln. Mit diesen Subventionen hatten wir bisher die Pflanzung von Buchen in großen Fichtenbeständen finanziert, um die Nadelwälder allmählich in Laubwälder umzuwandeln. Für mich war das reinste Erpressung: Entweder wir ließen Harvester in die Wälder, ließen die Böden zerfahren oder der Geldhahn würde zugedreht. Später wurde diese Drohung auf Weisung der Zentralstelle der Forstverwaltung zurückgenommen und bis heute bleibt der Hümmeler Wald für Erntemaschinen tabu.
    Schwierige Anfangsjahre
    Die meisten heimischen Wälder sind durch Pflanzung entstanden. Einen jungen Baum zu setzen, ist Sinnbild der Hoffnung. Dieser Akt findet sich in zahlreichen Sprüchen oder beispielsweise auch auf dem 50-Pfennig-Stück, entworfen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg.
    Für die kleinen Fichten, Eichen und anderen Baumkinder ging die Hoffnung jedoch schon viel früher verloren. Sobald sie aus ihrem Samenkorn lugen, sollten sie eigentlich im Schutz alter Bäume in heimeliger Waldatmosphäre aufwachsen. Stattdessen stehen sie in Reih und Glied auf dem großen Beet einer Baumschule. Hier sind sie schutzlos der Witterung ausgeliefert. So würden sie eigentlich verkümmern, doch welcher Förster kauft schon Schwächlinge, um damit seinen Wald aufzuforsten? Also wird gedüngt und dadurch die äußere Erscheinung kräftig aufpoliert. Die Kleinen wachsen um die Wette und erfüllen die optischen Erwartungen. Doch nun taucht ein weiteres Problem auf – auch die Wurzeln wachsen munter in alle Richtungen. Wenn man die Bäumchen nach drei Jahren ausgräbt und verkaufen möchte, würde ein Großteil dieser wichtigen Organe abgerissen und im Boden verbleiben. Bäume ohne Wurzeln wachsen jedoch nicht weiter, daher ist solche Ware unverkäuflich. Also werden die Bäume jedes Jahr unterschnitten. Dazu fährt ein Schlepper mit einem speziellen Pflug zwischen den Reihen hindurch und kappt unterirdisch die tief reichenden Wurzeln. Die Bäumchen reagieren darauf, indem sie ihr Wurzelsystem fortan eng unter dem Stämmchen zusammenhalten. So entsteht ein kompakter Ballen, den man später ohne Probleme aus dem Boden bekommt. Mit solchermaßen kurzen Wurzeln lassen sich die Setzlinge auch besser pflanzen, da die Löcher dann nicht so tief ausgehoben werden müssen.
    Für die Pflanzung gibt es bestimmte Geräte, so etwa die Wiede hopfhaue. Das ist eine Hacke, bei der auf der gegenüberliegenden Seite des Blatts ein Beil angeschmiedet ist. Daher ähnelt das Gerät entfernt dem namengebenden Vogel. Mit dieser Hacke lässt sich die Grasnarbe taschenförmig öffnen, sodass die Wurzeln der Bäumchen hineingeschoben und festgetreten werden können. Ich erinnere mich noch gut an einen Lehrgang im Jahr 1984, bei dem ich zusammen mit anderen Forststudenten dieses Pflanzverfahren lernte. Zu je 25 Stück waren die kleinen Fichten zusammengebunden, die im Gemeindewald nahe Trippstadt in der Pfalz gesetzt werden sollten. Als wir sie zu Gesicht bekamen, war klar, dass ihre langen Wurzeln niemals in die kleinen Löcher passen würden, die wir mit der Wiedehopfhaue in den Sandboden hackten. Aber unser Ausbilder wusste Abhilfe. Er wies auf einen Hackklotz nebst Beil und ordnete an, die langen Wurzeln kurzerhand zu kappen. Munter führten wir das aus, kürzten lieber ein wenig zu viel als zu wenig und konnten die Bäume so problemlos in den Boden bringen. Dass man die Wurzeln einfach den Gerä ten und Gegebenheiten anpasst und es nicht umgekehrt macht, dieser Gedanke ist mir damals nicht gekommen. Denn für mich klang das Verfahren logisch und vernünftig.
    Doch wie geht es den Bäumen damit? Das Beschneiden der Wurzeln ist ein schwerer Eingriff, der sie zeitlebens verkrüppelt. Sie erholen sich nicht mehr von dieser radikalen Behandlung, die

Weitere Kostenlose Bücher