Der Wald - ein Nachruf
meinem Revier Spuren eines früheren Ackerbaus entdecken. Quadratkilometerweise war in etwa 20 Zentimetern Tiefe eine Art Sperrschicht vorhanden, die durch das Pflügen entstanden war. Die einstigen Verursacher benutzten dazu nicht, wie heute, tonnenschwere Traktoren, auch nicht Pferde, die sich damals niemand leisten konnte, sondern mickrige Milchkühe. Diese Tiere waren durch den Futtermangel so schwach, dass sie nach dem Winter auf die Weide gekarrt werden mussten, da sie selbst kaum noch laufen konnten. Mit den Pflügen wurde der Boden bestenfalls etwas aufgekratzt. Dort, wo das Gerät durch den Untergrund scharrte, verschmierten sich Lehm und Ton und ähnlich wie beim Töpfern entstand eine glatte Fläche, die wasser- und luftundurchlässig war.
Egal ob Schaf oder Kuhpflug, die Folgen sind noch heute spürbar. Denn die Bodenschäden regenerieren sich nach menschlichen Maßstäben nie wieder. Zwar werden die oberen 20 Zentimeter durch Frosteinwirkung oder Tiere wieder aufgelockert, darunter aber ist endgültig Schluss. Die Sperrschicht wirkt wie eine Badewanne, aus der ein heftiger Regenguss nicht ablaufen kann. Der Boden füllt sich mit Wasser und gleicht in kürzester Zeit einem Sumpf. Unter der Sperrschicht vertrocknet alles Leben, darüber ertrinkt es. Nun könnte man meinen, dass sich dann eben Sumpfpflanzen ansiedeln und das Ganze zu einem Feuchtgebiet wird. Das funktioniert leider auch nicht, denn aufgrund der geringen Tiefe dieser Badewanne trocknet sie nach wenigen Tagen Sonnenschein wieder aus.
Diese Bodenzerstörung findet auch heute noch statt. Die Pflüge sind nur größer und gehen doppelt so tief, damit ist das Problem eben etwas weiter weg. Für die Feldfrüchte oder das Weidegras spielen die Veränderungen keine so große Rolle, denn sie wurzeln von Haus aus relativ flach. Wenn ich mir aber vorstelle, dass jeder Boden einmal von Urwald bedeckt war und einst ganz andere Eigenschaften hatte, dann werde ich manchmal traurig.
Einstmals fast völlig entwaldet, ist unsere Landschaft inzwischen zu größeren Teilen wieder aufgeforstet worden. Und diese Bäume haben es richtig schwer. Das kaputte Erdreich ist Gift für ihre Wurzeln, und sobald sie die Sperrschicht erreichen, sterben die zarten Ausläufer der meisten Baumarten wegen Sauerstoffmangel ab.
Das ist der Grund für den Mythos der Flachwurzler, zu denen die Fichte gern gezählt wird. Ihr Wurzelwerk breitet sich nur in den oberen 20 Zentimetern aus, die noch ausreichend belüftet werden. Das genügt aber nicht, um sich in starken Stürmen festzuhalten, wenn bis zu 100 Tonnen Zugkraft am Stamm wirken. Dann fällt auch der stärkste Baum um.
Da Fichten besonders häufig auf ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen angebaut werden, sind sie naturgemäß auch überdurchschnittlich oft von diesem Phänomen betroffen. Und in Unkenntnis der wahren Ursachen wurde ihnen ein entsprechendes Etikett verpasst: Sie wären nun mal so veranlagt. Viele meiner Kollegen äußern bei Waldführungen eine ähnliche Auffassung und schieben damit die Verantwortung auf die Natur. Das finde ich schade, denn hier wird eine Chance zur Sensibilisierung der Bevölkerung vertan. Es betrifft ja nicht nur die Fichten, sondern auch viele andere Baumarten, etwa die Buche. Die bequeme Ausrede hat aber noch einen tieferen Grund: Sie ist ein Ablenkungsmanöver für eigene Missgriffe.
Förster sind überwiegend männlich und viele Männer haben ein Faible für Technik. Große Maschinen können zahlreiche meiner Kollegen begeistern, je mächtiger, desto beeindruckender. Und in den letzten 20 Jahren hat die Industrie eine ganze Armada von Fahrzeugen entwickelt. Da gibt es welche, die Stammteile aufladen und an Waldstraßen transportieren können. Andere packen Reisig und pressen es zu Rollen, die später in Kraftwerken verfeuert werden. Besonders weit verbreitet sind Harvester, gigantische Erntemaschinen. Sie umfassen den Baum mit einer Zange, sägen ihn mit einer integrierten Kettensäge ab, ziehen ihn durch Entastungsmesser und zerteilen den nackten Stamm in die gewünschten Längen. Von der mächtigen Fichte bis zum fertigen Holzstapel vergeht keine Minute. In Windeseile sind ganze Waldpartien durchforstet, denn ein Harvester sägt so schnell wie zwölf Waldarbeiter. Er kennt keine Tarifverhandlungen, da die Fahrer meist selbstständige Unternehmer sind, arbeitet im Schichtbetrieb rund um die Uhr und scheut auch kein schlechtes Wetter. Ich gestehe, dass ich in den
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