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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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entscheidende Frage: Wie erntet man solch einen Bestand, ohne einen Kahlschlag zu machen? Denn der ist mittlerweile in den meisten Fällen verboten. Zudem streben die staat lichen und kommunalen Forstverwaltungen einen Dauerwald an, bei dem sich junge und alte Bäume auf ganzer Fläche mischen, ähnlich der Situation im Urwald. Fällt man dagegen sämtliche Z-Bäume gleichzeitig, beginnt alles von vorn – eine Freifläche entsteht, die wieder aufgeforstet werden muss.
    Es sollen also nur einzelne Stämme entnommen werden. In den entstehenden Lücken kommt Nachwuchs hoch, der sich selbst ausgesät hat. Ist irgendwann der letzte Z-Baum abgesägt, sind seine Nachkommen schon dicke Bäume. So kann ein wahres Idyll und Sinnbild der Nachhaltigkeit entstehen – oder besser, es könnte. Denn in der Praxis funktioniert das nicht.
    Um festzulegen, wann der erste Zukunftsbaum geerntet wird, setzen die Forstverwaltungen einen Mindeststammdurchmesser fest. Dieser wird in 1,30 Meter über dem Boden gemessen. Liegt er bei etwa 60 Zentimetern, so gilt der Baum als erntereif. Leider erreichen fast alle Kandidaten dieses Ziel gleichzeitig, denn die dünneren Bäume wurden alle im Lauf der Zeit beseitigt und die übrigen hatten damit genug Platz und Licht für ihre Entwicklung. Bei gleichem Alter, gleichem Boden und gleichem Klima kommt in derselben Zeit auch ein einheitlicher Durchmesser zustande. Folglich werden die Bäume alle innerhalb weniger Jahre geerntet. Natürliche Waldstrukturen mit einem vernünftigen Beziehungs geflecht lassen sich so nicht verwirklichen, und das trotz des amt lichen Bekenntnisses zur naturnahen Waldwirtschaft. Die einfachste Abhilfe wäre, den Zieldurchmesser zumindest bei einem Teil der Stämme einfach von 60 auf 80 oder gar 100 Zentimeter anzuheben. Doch das hieße, weitere Jahrzehnte auf gute Einnahmen zu warten und schlechtere Finanzergebnisse möchte wohl angesichts der angespannten Haushaltslage in allen Bundesländern kein Landesforstchef verantworten. Und leider ist das noch nicht alles.
    Unnatürliche Auslese
    Um Zukunftsbäume heranzuziehen, werden die besten Kandidaten ausgewählt und die schlechteren im Rahmen der Durchforstungen entfernt, so viel wissen Sie nun aus dem vorherigen Kapitel. Die wirtschaftlichen Ziele und Auswirkungen kennen Sie auch, aber es gibt zusätzlich genetische Folgen und diese wirken weit über ein Baumleben hinaus.
    Durchforstungen schaffen Platz und belassen die qualitativ besseren Bäume im Wald. Doch was ist qualitativ besser? Die Natur und der Förster haben hier ganz verschiedene Ansichten. Exemplarisch lässt sich das anhand des sogenannten Drehwuchses verdeutlichen. Schauen Sie sich bei Ihrem nächsten Waldspaziergang einmal die Stämme älterer Bäume genauer an. Manche weisen leichte Rinnen auf, die sich spiralförmig um den Stamm winden. Besonders bei glattrindigen Arten wie der Buche ist das deutlich zu sehen. Der gedrehte Faserverlauf erinnert an eine Metallfeder, und genau das ist auch der Sinn des Ganzen. Ein Baum, der diese Merkmale aufweist, kann sich bei Sturm besonders gut biegen, ohne zu brechen. Das ist ein echter Konkurrenzvorteil gegenüber Artgenossen, deren Holzkörper schnurgerade nach oben verläuft.
    Kommt ein solchermaßen gefederter Stamm ins Sägewerk, erzeugt er nur Stirnrunzeln. Denn werden Bretter daraus gesägt, drehen sich diese beim Trocknen wie eine Spiralnudel. Möbel oder Dielen kann man mit dermaßen verzogenen Teilen nicht herstellen, weshalb drehwüchsige Stämme nur noch als Brenn holz taugen. Brennholz ist jedoch viel weniger wert als gutes Sägeholz und als Waldbesitzer möchte man natürlich viel Geld verdienen. Deshalb sorgen die Förster dafür, dass diese untaug lichen Bäume frühzeitig gefällt werden und Platz für geradwüchsige Exemplare machen. Das ist prinzipiell nichts anderes als die Zucht bei Tieren. Auch bei ihnen werden nur diejenigen vermehrt, die unseren Vorstellungen entsprechen.
    Drehwuchs ist jedoch nur ein Auslesekriterium von vielen. Alles, was von der perfekten, kreisförmigen und schnurgeraden Stammform abweicht, muss fallen. Krumme Bäume, Exemplare mit Seitenästen im unteren Bereich oder Zwiesel, also mit zwei Gipfeltrieben, fliegen raus. Sind die Buchen, Eichen oder Fichten dann irgendwann geschlechtsreif und vermehren sich, so kommen bis auf wenige Ausnahmen nur noch Elitekandidaten zum Zug. Sie produzieren genetisch einwandfreie Samen, die sich im Wald verbreiten. In der nächsten

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