Der Wald - ein Nachruf
Baumgeneration finden sich daher vermehrt die gewünschten Eigenschaften wieder.
Von Natur aus besitzen unsere Baumarten eine riesige genetische Variationsbreite. Buchen verschiedener Herkunft zum Beispiel weisen weniger Übereinstimmung in ihrem Erbgut auf als etwa ein Schäferhund und ein Dackel. Das ist überlebenswichtig, denn Bäume werden sehr alt. In den 400 bis 500 Jahren ihres Lebens können sich die Umweltbedingungen einschneidend ändern. Und so hat auch das Klima der letzten Jahrhunderte von einer mittelalterlichen Warmzeit über eine anschließende kleine Kaltzeit zur heutigen Erwärmung eine regelrechte Achterbahnfahrt vollzogen. Eine genetische Anpassung ist aber immer nur über die Vermehrung möglich, denn dabei wird das Erbgut neu gemischt. Und wer von den Eltern besonders gut zurechtkommt, kann seine Nachkommen stärker verbreiten als schwächere Vertreter, denn größere Kronen und damit mehr Reservestoffe ermöglichen eine häufigere und reichere Samenproduktion. Für Mäuse etwa ist eine notwendige Anpassung kein Problem: Sie bekommen alle drei Wochen Nachwuchs, der seinerseits nach einem Monat schon wieder Junge zur Welt bringt. Waldbäume werden in der Regel allerdings nicht vor dem 50. Lebensjahr geschlechtsreif und produzieren erst im hohen Alter große Samenmengen. Eine schnelle Anpassung wie bei den Mäusen ist daher ausgeschlossen, und um diesen Nachteil auszugleichen, unterscheiden sich die einzelnen Bäume sehr stark voneinander. Damit ist sichergestellt, dass in einer Population genügend unterschiedliche Eigenschaften vorhanden sind und immer einige überleben werden.
Mit den Durchforstungen und den Pflanzen aus der Baumschule verschwindet diese Vielfalt. Welche Auswirkungen das genau haben wird, können wir heute noch nicht sagen. Denn die 100 Jahre, in denen dies bereits so praktiziert wird, sind für uns zwar lang, für einen Baum jedoch sehr kurz. Noch existieren Veteranen, die aus auslesefreien Zeiten stammen und über den Pollenflug bei der Blüte immer wieder ihr Erbgut in den Genpool ihrer Artgenossen »mogeln«. Es ist daher sehr wichtig, zahlreiche Inseln zu schaffen, in denen die ganze Bandbreite jeder Baumart erhalten bleibt. Dazu reichen Nationalparks nicht aus, denn sie sind viel zu weit voneinander entfernt. Besser sind kleine Schutzgebiete, die sich im Abstand von wenigen Kilometern wie Perlen an einer Kette durch den Wald ziehen. Der Blütenstaub aus diesen Reservaten kann dann über die Wipfel der Plantagen wehen und das ungesunde Treiben abmildern.
Nährstoffmangel
Ich mag keine Krabben. Die kleinen Nordseegarnelen, frisch auf dem Kutter gekocht, erzeugen bei mir Ekel. Vielleicht liegt es daran, dass ich als Sechsjähriger bei einem Nordseeurlaub eine Tüte Krabben in die Hand gedrückt bekam. Ich verschlang sie begeistert, hatte mir meine Mutter doch von dem Genuss vorgeschwärmt. Plötzlich wurde mir jedoch übel und kurz darauf ließ ich den ganzen Imbiss wieder auf die Stegplanken platschen. Fische oder Bartenwale sind da nicht so zimperlich. Denn für sie sind die zahlreichen Kleinkrebse, auch Krill genannt, überlebenswichtig. Krill steht am Anfang der Nahrungskette und hält das gesamte Leben im Meer in Schwung.
Solche Tiere gibt es auch in den Waldböden. Sie haben eine ähnliche ökologische Bedeutung, daher könnte man sie auch als »Bodenkrill« bezeichnen. Hornmilben, Springschwänze, Asseln und Borstenwürmer sind die Ausgangsbasis der Nahrungspyramide unter Buchen oder Eichen und damit Voraussetzung für die Artenvielfalt der Säugetiere, Vögel und Insekten.
In Jahrmillionen haben sich diese Tierchen perfekt auf ihr Leibgericht eingestellt – tote Blätter. Besonders nährstoffreich ist die Kost nicht, denn die Bäume holen sich vor dem Laubfall alles Brauchbare, also Zucker und Mineralstoffe, zurück. Trotzdem reicht der verbleibende Rest, um die Kleinsten unter den Waldtieren zu versorgen. Aber dann kam der Mensch und mit ihm die Bewirtschaftung der Wälder.
In meinem Revier forschen regelmäßig Studenten der Universi tät Aachen. Einer von ihnen, Rolf Zimmermann, hat Erschreckendes entdeckt. Er untersuchte die Laubstreu, die verrottenden Blätter der letzten Jahre, in Buchenbeständen verschiedenen Alters. Ihn interessierte dabei besonders das sogenannte C/N-Verhältnis, also die Gewichtsanteile von Kohlenstoff (C) und Stickstoff (N) in der organischen Substanz. Für die Bodentiere ist das so interessant wie für uns die Packungsangabe mit
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