Der Wald - ein Nachruf
und die Beute wird anschließend in dustriell so aufbereitet, dass das blutige Geschäft nicht mehr zu erahnen ist. Dennoch unterscheiden sich Chicken Nuggets in einem wesentlichen Punkt von einer Rehkeule: Die Haustiere haben Vertrauen zu uns und wollen den Jägern nicht entfliehen, höchstens auf den letzten Metern der Verladerampe. Was ist nun grausamer, die Schlachtung von zahmen Rindern und Schweinen, die uns vertrauen, oder das Schießen frei lebender Wildtiere?
Als Förster habe ich einen Jagdschein, als Privatperson eine kleine Hobbylandwirtschaft. Somit kenne ich beide Varianten. Gleich nach dem Einzug in das alte Forsthaus 1991 begannen wir, uns einen Traum zu erfüllen: die Haltung von Nutztieren. Hühner für das Frühstücksei, Kaninchen für einen leckeren Braten, Ziegen für Milch und Käse, Bienen für den Honig sowie Pferde für entspannende Ausritte. Ich bin ein Fan alter Handwerkstechniken und möchte gern alles, was man zum täglichen Leben braucht, herstellen können oder es zumindest einmal selbst gemacht haben.
Sollte ich eines Tages emotional nicht mehr in der Lage sein, Tiere zu töten, so möchte ich nicht, dass dies jemand anderes für mich erledigt. Die Konsequenz wäre der völlige Verzicht auf Fleisch. Vielleicht ist dieser Tag auch nicht mehr so fern, denn das Töten ist brutal. Natürlich sind die Kaninchen und Ziegen artgerecht aufgewachsen, dürfen im Freien unter ihresgleichen leben und werden vom Tierarzt behandelt, wenn sie einmal krank sind. Insofern führen sie ein paradiesisches Dasein, das ich dann aber gewaltsam beende.
Das Einfangen geht rasch, denn unsere Haustiere sind ja zahm. Wenn sie dann aber nichts ahnend unter meiner Hand liegen und ich das Bolzenschussgerät ansetze, komme ich mir herzlos vor. Da nützt es wenig, wenn ich mir sage, dass der Mensch nun mal ein Allesfresser und Fleisch Teil seiner natürlichen Nahrung ist. Im Augenblick des Tötens missbrauche ich das Vertrauen einer Kreatur, die keine Chance hat, zu entfliehen. Genau hier liegt der Unterschied zu Raubtieren. Ihre Opfer, sofern nicht überrumpelt, sehen die Gefahr nahen und Wolf oder Luchs lassen nicht den geringsten Zweifel an dem, was sie zu tun gedenken.
Im Vergleich zum Töten von Haustieren ähnelt die Jagd auf Wildtiere mehr der Methode von Wölfen und Luchsen. Von diesem Standpunkt aus ist die Jagd also völlig in Ordnung. Leider ist es aber so, dass die meisten Jäger heutzutage nicht mehr das Fleisch im Sinn haben, sondern eher an Geweihen interessiert sind. Und das hat zu erschreckenden Zuständen in Wald und Flur geführt. Bevor ich auf diese näher eingehe, möchte ich mit Ihnen einen Blick in die Vergangenheit werfen. Denn eigentlich hätte alles ganz anders kommen können.
Ein Blick zurück
Die Bauernkriege des 16. Jahrhunderts und später auch die deutsche Revolution von 1848/1849 haben eine gemeinsame Wurzel, die Privilegien des Adels. Die Blaublüter hatten das Recht, überall zu jagen, auch auf dem Grund und Boden der Landbevölkerung. Für Barone, Grafen und Könige gab es scheinbar nichts Schöneres, als eine beeindruckende Strecke zu machen, also viel Wild zu erlegen. Denn diese Freizeitbeschäftigung war ein wichtiges Zeremoniell und wurde oft zusammen mit geladenen Gästen ausgeübt. Wenig Beute ließ den Gastgeber schlecht aussehen, weshalb dieser danach trachtete, immer einen großen Bestand der begehrten Tiere in den Wäldern zu halten. Damit sich die Bevölkerung nicht einfach an diesen bediente, belegte man ganze Landstriche mit einem Bann. Wer als einfacher Bauer dort ein Reh erlegte, wurde schwer bestraft. Zu der Zeit der Feudaljagden traten auch die ersten Förster auf. Sie kontrollierten die Wälder, manchmal auch die Felder und sogar die Dörfer auf Wilderei.
Aus diesem Grund wuchsen die Bestände von Hirsch, Reh und Wildschwein immer weiter an. Und nachts, wenn die hungernde Landbevölkerung in ihren kargen Hütten schlief, machten sich die Tiere über die kümmerlichen Äcker her, sodass die nächste Ernte kaum etwas hergab. Die Folge waren Bauernaufstände, die aber erfolglos blieben. Erst im 19. Jahrhundert sollte sich die Lage ändern. Im Zuge der Revolution von 1848/1849 wurde das Jagdrecht des Adels abgeschafft. Fortan durfte jeder auf seiner eigenen Scholle jagen und davon wurde fleißig Gebrauch gemacht. Auf diese Weise füllten sich die Kochtöpfe gleich doppelt – mit leckerem Wildfleisch und mit Feldfrüchten, die nun wieder ungefährdet
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