Der Wald - ein Nachruf
heranwachsen konnten. Auch der Wald atmete auf. Junge Buchen und Eichen konnten wachsen, ohne abgefressen zu werden, und viele alte Laubwälder der heutigen Zeit entstammen jenen Tagen.
Leider änderten sich die Zustände dann erneut. Denn die Landbevölkerung hatte den Wildbestand so sehr dezimiert, dass er annähernd auf dem ursprünglichen natürlichen Niveau lag. Das bedeutete wenige Rehe pro Quadratkilometer Wald, und Rotwild sowie Wildschweine kamen in vielen Regionen gar nicht mehr vor. Damit verloren traditionelle Jäger ihre lieb gewonnene Freizeitbeschäftigung. Gingen sie auf die Pirsch, so konnte es Wochen dauern, bis sie ein Reh, geschweige denn einen Hirsch, zu Gesicht bekamen. Wo blieb da der Spaß?
Die Revolution war eine Sache, alte Seilschaften eine andere. Daher wurden schon wenige Jahre später Gesetze erlassen, die eine Ausübung des Jagdrechts nur noch ab einer zusammenhängenden Flächengröße von knapp einem Quadratkilometer erlaubten. Durch diese vorgeschriebene Mindestgröße schlug man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Die armen Bauern hätten, um weiter jagen zu können, fremde Flächen zu ihrem winzigen Besitz hinzupachten müssen. Da ihnen dieses Geld jedoch fehlte, konnten reiche Bürger oder der Adel in die Bresche springen – damit war die Jagd in ihren Augen wieder da, wo sie hingehörte. Zudem schonten die neuen alten Akteure den Wildbestand, wodurch die Zahlen rasch in die Höhe schnellten. Befeuert wurde dieser rückwärts gerichtete Trend durch das Aufkommen der Trophäenjagd um 1900. Nicht das Fleisch und das Jagderlebnis standen fortan im Vordergrund, sondern das Erbeuten prachtvoller Geweihe von Hirsch und Reh oder dicker Eckzähne von Wildschweinen.
Um jedes Jahr wenigstens einen kapitalen Hirsch oder einen Rehbock mit vielfach gegabelten Hörnern schießen zu können, braucht ein Jäger in seinem Revier einen Grundbestand von rund 100 Tieren. Ein durchschnittliches Jagdrevier ist bis heute zwei bis drei Quadratkilometer groß. Unter natürlichen Verhältnissen kämen dort einige Rehe vor, Hirsche und Wildschweine wären die absolute Ausnahme. Da bekäme der Jäger manchmal jahrelang nichts zu Gesicht, geschweige denn einen großen Trophäenträger vor die Büchse. Aber das lässt sich ändern und genau das wurde auch gemacht. So wuchsen die Bestände durch Fütterun gen und das Verschonen weiblicher Tiere kontinuierlich an. Als Begründung wurde angeführt, dass das Wild gehegt werden müsse, um es in unserer Kulturlandschaft vor dem Aussterben zu bewahren. Im Klartext bedeutete das, dass nicht nur die Individuenzahl anstieg, sondern dass man auch versuchte, auf stärkere Geweihe hin auszulesen. Dieses Zuchtziel wurde verfolgt, indem besonders prächtige männliche Tiere bis zum mittleren Lebensalter geschont wurden, damit sie sich bis dahin kräftig fortpflanzen und ihre begehrten Eigenschaften vererben konnten.
Zur Hochblüte gelangten diese Programme im Dritten Reich. Unter Hermann Göring, der auch Reichsjägermeister war, trat ein Gesetz in Kraft, in dem erstmals Hege und Zucht zementiert wurden. Er jagte selbst sehr gern und ließ noch im Hungerwinter 1944 Lebensmittelhafer an seine Hirsche verfüttern. Das Kriegsende wäre eine Chance für einen Neubeginn gewesen. Stattdessen wurde das Reichsjagdgesetz nur geringfügig verändert zum Bundesjagdgesetz.
Haustierhaltung im Wald
Der gesetzlich legitimierte Trophäenkult treibt seltsame Blüten. So gibt es alljährlich Schauen, auf denen die schönsten Geweihe und Wildschweinzähne präsentiert werden. Bewertungskommis sionen benoten den Zierrat nach Farbe, Größe, Gewicht und Aus formung und küren die Sieger. Den Gewinnern winken Medaillen und Urkunden, ein Ansporn für die nächste Saison. Wer auch im kommenden Jahr wieder unter den Ersten sein will, muss an seinem Wildbestand arbeiten, also wenig schießen und kräftig füttern, um eine entsprechende Auswahl beim Abschuss zu haben. Dieses Management nach Zahl, Alter und Geschlecht nennt sich Hege. An deren Ende stehen sogenannte Ernteböcke, Erntehirsche und reife Keiler. Letztendlich handelt es sich bei diesem Verfahren um einen Tierhaltungsbetrieb im Wald, der die Wildtiere zu Mast- und Schlachtvieh verkommen lässt.
Wie scheinheilig das Zuchtgeschäft verbrämt wird, können Sie am Beispiel der Wildfütterung erkennen. Haben Sie schon einmal eine Futterraufe im Wald gesehen? Oder vielleicht ein paar Holzkästchen, gefüllt mit Körnermais? Das alles
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