Der Wald - ein Nachruf
Rinde, so kommt oft kein Tropfen Harz. Und das merkt der Käfer sofort. Er lässt einen chemischen Lockruf los, der allen Artgenossen signalisiert: »Das Buffet ist eröffnet.« Daraufhin macht sich jeder Buchdrucker der Umgebung auf den Weg und landet am gedeckten Tisch. Im Nu ist die Rinde mit Einbohrlöchern übersät und unter jedem wird eine Paarungshöhle angelegt. Hier legen die Weibchen in kleinen Nischen Eier ab, aus denen Larven schlüpfen, die dann die Gänge unter der Borke fressen. Besonders beliebt ist die Wachstumsschicht, das zuckerhaltige Kambium, sodass dem Baum praktisch bei lebendigem Leib die Haut zerstört wird. Ab einer bestimmten Befallsstärke kann er nicht mehr. Seine Rinde blättert ab, die Nadeln verfärben sich rötlich und signalisieren das Ende. Tausende geschlüpfter Käfer suchen dann nach neuen Opfern und befallen die Bäume in der Nachbarschaft. Aus einem geschädigten Exemplar werden im Lauf des Sommers manchmal Hunderte, da etwa alle sechs Wochen eine neue Käfergeneration schlüpft. Die sorgsam herangehegten Nadelbaumplantagen verwandeln sich so rasch zu trostlosen, mit Baumskeletten bestandenen Landschaften.
Monokulturen mit ortsfremden Baumarten sind nun mal unnatürlich und anfällig für Parasiten. Der großflächige Befall mit Borkenkäfern oder Schmetterlingsraupen signalisiert, dass hier eine Störung des Ökosystems vorliegt. Ein aufmerksamer Förster müsste für diesen Fingerzeig dankbar sein, sollte sein bisheriges Tun überdenken und entsprechend ändern. Stattdessen wird die Giftspritze aus dem Schrank geholt.
Ich kann es kaum glauben, doch die Verwaltungen scheinen noch stolz auf ihr Handeln zu sein. So war in der Märkischen Allgemeinen im Mai 2012 nachzulesen, dass Brandenburgs Förster per Hubschrauber rund 50 Quadratkilometer Wald einnebeln ließen. 11 Unter den Wirkstoffen war auch einer namens Karate – nomen est omen. 12 Dieses Kontaktinsektizid tötet alle Kerbtiere, ob Käfer oder Schmetterling. Gelangt es ins Wasser, so sterben auch Fische und Krebse. Eine solche Maßnahme in der warmen Jahreszeit durchzuführen, wenn alle Tiere aktiv sind und auch Wanderer durch die Forste ziehen, zeugt von einer beispiellosen Rücksichtslosigkeit. Denn Karate wirkt über Monate fort, wird beim Aussprühen verweht und bleibt an Waldbeeren oder Pilzen kleben. Da kann man Naturfreunden, welche sich eine kleine Mahlzeit sammeln, nur guten Appetit wünschen …
Dennoch haben Borkenkäfer und Co auch etwas Gutes. Denn intakten Wäldern werden sie niemals gefährlich, sondern zeigen auf, wo das Ökosystem gestört ist oder von Grund auf nicht stimmt. Und Nadelwälder in Mitteleuropa stimmen nun mal in den meisten Gebieten nicht, zumindest aus Sicht der Natur.
Ich höre schon den Protest der Kollegen, das entspräche nicht der Wahrheit. Fichten und Kiefern seien sehr wohl heimische Arten, die zunehmenden Borkenkäferplagen nicht hausgemacht, sondern Ausdruck des beginnenden Klimawandels. Es gibt tatsächlich heimische Nadelbäume, etwa im Alpenraum, denn hier sind die verbliebenen, vergleichsweise winzigen Rückzugsgebiete für kälteliebende Arten. Forstliche Hochschulen zählen Fichten und Co jedoch flächendeckend zu unserer ursprünglichen Flora, womit ihr umfassender Anbau keine Tollkühnheit ist, sondern selbstverständlich wird.
Sind die Fichten nach etwa 60 Jahren 25 Meter und höher geworden (Kiefern vertragen etwas mehr), dann macht sich die Physik bemerkbar. Denn der Stamm wirkt wie ein langer Hebel, an dessen oberen Ende die Krone sitzt. Und an diesem Hebel wird gewaltig gedrückt. Jeden Herbst kommt es in Mitteleuropa zum Austausch von heißen Luftmassen aus dem Süden mit den kalten Strömungen des Nordens. Als Folge davon entstehen Stürme.
Unsere heimischen Bäume haben dagegen einen Schutz entwickelt. Sie werfen ihre Blätter ab, reduzieren damit die Windangriffsfläche und ertragen jeden Orkan, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Das ist meiner Meinung nach der wichtigste Grund für den Laubfall.
Die Nadelbäume können dies mit Ausnahme der Lärche, die forstwirtschaftlich allerdings kaum eine Rolle spielt, jedoch nicht. Das war in der alten Heimat auch nicht notwendig, denn 25 Me ter Stammlänge sind dort utopische Werte, die kein Baum je erreicht. Hier jedoch stehen sie im Herbststurm hilflos auf verlorenem Posten. Ab etwa 100 Stundenkilometer Windgeschwindigkeit sind es nicht nur einzelne Exemplare, sondern ganze Baumgruppen oder gar Wälder, die
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