Der Wald - ein Nachruf
vielmehr erwarte ich eine moralisch einwandfreie Position von den Regierungen der reichen Industriestaaten. Und so eine Position kann nur in einem guten Vorbild bestehen. Wer, wenn nicht wir, kann es sich leisten, großzügig zu sein und Fehler der Vergangenheit zu korrigieren? Was wir den ärmeren Staaten mit intakter Naturausstattung empfehlen, sollten wir zuallererst vor der eigenen Haustür vorleben. Aber selbst die lächerlichen 65 Quadratmeter geschützte Waldfläche pro Einwohner sind noch lange nicht in Sicht.
Vielleicht muss man diese Entwicklung langfristiger sehen. Wenn Nationalparks nur ein erster Schritt hin zur Rückkehr der Natur sind, wenn die Gebiete über die Jahre größer werden und wir den wilden Tieren eines Tages genügend Raum zur Verfügung stellen, dann kann ich dem Status quo etwas Positives abgewinnen. Aber selbst dieser erste Schritt, die Errichtung der heutigen viel zu kleinen Parks, ist nur gegen schwerste Widerstände möglich.
Streitfall Nationalpark
Immer wenn ein Schutzgebiet der strengeren Kategorie errichtet werden soll, etwa die Kernzone eines Biosphärenreservats oder ein Nationalpark, gibt es Widerstand. In erster Reihe stehen die Förster, Seite an Seite mit der Holzindustrie und Teilen der örtlichen Bevölkerung. Die Waldnutzung aufzugeben, hat für jede dieser Gruppen eine andere Bedeutung. Als erstes Argument der Einwohner gegen die Schaffung des Schutzgebiets wird die Tradition genannt. Haben nicht Generationen vor ihnen schon den Wald genutzt und dennoch ist er am Ort des geplanten Nationalparks erhalten geblieben? Oder mehr noch, haben ihn nicht erst die Förster zu jenem Naturjuwel gemacht, als das er nun so erhaltenswert ist? Die Förster beklagen dann, für ihre ökologische Wirtschaftsweise auch noch bestraft zu werden. Denn hätten sie ihre Wälder verkommen lassen oder in Fichtenplantagen verwandelt, so wäre kein Umweltverband auf die Idee gekommen, hier etwas schützen zu wollen.
Die Holzindustrie schließlich verweist im Chor mit den Forstverwaltungen auf wegfallende Arbeitsplätze. Kein Holz – nichts zu tun, so einfach sei das. Und darunter hätten alle im ländlichen Raum zu leiden, denn neben dem Einkommen gingen auch Steuer einnahmen verloren. Nun sind Waldarbeiter, Förster und Sägewerker nicht gerade die zahlenmäßig stärksten Berufsgruppen. Nach meiner Schätzung gibt es pro zwei Quadratkilometer Waldfläche einen Mitarbeiter der Forstverwaltung einschließlich des Personals beauftragter Unternehmen. Das wären für Deutschland etwa 55 000 Arbeitsplätze. In den Sägewerken der Bundesrepublik arbeiten immerhin 23 000 Menschen. 28 Das reicht den PR-Strategen argumentativ offensichtlich noch nicht aus, um gegen Schutzgebiete vorzugehen. Die geschätzten ein bis zwei Prozent Holz, die jährlich durch die Stilllegung nicht mehr genutzt werden dürften, werden als untragbarer Verlust dargestellt. Und dazu wird ein neuer Begriff in die Debatte eingeführt, der Cluster. Ich habe die ses Wort zuerst in Zusammenhang mit einem Müsli kennengelernt. In der geöffneten Verpackung entdeckte ich zusammengeklumpte Flocken, die in eine weiße Masse aus Zucker und Milchpulver eingebettet waren. Dieses Bild geht mir nicht mehr aus dem Kopf und vielleicht kann ich Industriecluster deswegen nicht ernst nehmen. So ein Klumpen bedeutet in der Wirtschaft die Zusammenarbeit verschiedener Unternehmen, die denselben Rohstoff bearbeiten oder ähnliche Produkte erzeugen. Da ist es sinnvoll, wenn man gemeinsam Forschung betreibt, sich an einem Standort ansiedelt und so Fachkräfte binden kann oder auch Spezialeinrichtungen zusammen nutzt. Ein klassisches Beispiel hierfür ist das Silicon Valley in Kalifornien.
Vor einigen Jahren kam die Forst- und Holzwirtschaft auf die Idee, sie seien ebenfalls ein Cluster. Aufgrund der räumlichen Entfernungen, man kann die Wälder schließlich nicht einfach zusammenlegen, ergibt das zumindest für Forstbetriebe wenig Sinn. Für Sägewerke auch nicht, denn wenn mehrere von ihnen an einem Standort nebeneinander arbeiten, machen sie sich gegenseitig Konkurrenz, wie etliche Beispiele zeigen. Ihr Rohstoff, Baumstämme, lässt sich nur unter hohen Transportkosten über größere Strecken anliefern. Und nur wer genug aus den nahen, heimischen Wäldern bekommt, kann auf Dauer bestehen. Darüber hinaus streiten sich die Betreiber aufgrund der überall aufgebauten Überkapazitäten schon heute um die Gunst der Waldbesitzer.
Der Cluster dient in
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