Der Wald - ein Nachruf
wie Musik, denn eine Lieferung auf den Punkt, genau nach dem Bedarf der Industrie, ist rationell und vernünftig. Leider trifft das nicht auf den Rohstoff Holz zu.
Früher wurde Holz nur im Winter geschlagen. Zu dieser Jahreszeit sind die Stämme relativ trocken, da sich die Bäume in einer Ruhephase befinden. Der Frost lässt die Wege zu beinhar ten Pisten erstarren, auf denen der Abtransport ohne große Schäden erfolgen kann. Zudem hat die Natur Pause und eine Störung der empfindlichen Tier- und Pflanzenwelt hält sich in Grenzen.
Heute wird rund ums Jahr durchforstet. Das nasse Holz des Sommers, die Bäume stehen nun in vollem Saft, wird dann in den Sägewerken mit hohem Energieaufwand getrocknet, um die Qualität von Winterholz zu erreichen. Der gesamte Wald bekommt keine Atempause mehr: In der warmen Jahreszeit, wenn das Leben pulsiert, kreischen die Motorsägen und brummen die Erntemaschinen. Damit die riesigen Aggregate sich auch lohnen, sind sie mit Scheinwerfern bestückt und können selbst nachts arbeiten. Es gibt keine Ruhe, weder für Mensch noch Tier.
Ich wende in meinem Revier zwar schonende Methoden an, muss mich aber ebenfalls dem Diktat der Industrie beugen und im Sommer Holz liefern. Ansonsten würde der Forstbetrieb in eine finanzielle Schieflage kippen, denn wer nicht liefert, wird eben einfach ausgelistet.
Seit einigen Jahren befindet sich mein Arbeitsbereich also in einem Vogelschutzgebiet. Staatlicherseits werden damit die Rah menbedingungen verändert, und genau dafür liebe ich unser Sys tem. Wenn die Wirtschaft bestimmte Aspekte aus den Augen verliert, muss der Staat, muss die Bevölkerung dafür sorgen, dass die Spielregeln angepasst werden. Aber welche Spielregeln? Zu einem Schutzgebiet gehören zwangsläufig Bestimmungen, wie der Schutz zu erreichen ist. Für Vogelschutzgebiete gibt es solche Vorschriften allerdings vielfach bis heute nicht, leider auch nicht für meinen Bereich. Will ich Schwarzstorch und Co wirksam schützen, so müsste ich als erste Maßnahme den Sommereinschlag verbieten. Da ich das aus den genannten Gründen nicht kann, wäre dies eine sinnvolle Beschränkung, die die Schutzgebietsverordnung enthalten sollte. Das wäre einfach zu kontrollieren, denn sobald bei sommerlicher Hitze Motorsägenlärm oder Maschinengebrumm durch Wald und Flur dröhnen würde, wüsste jeder, dass der zuständige Förster vorschriftswidrig handelt.
Warum ich mir solche staatlich verordneten Beschränkungen wünsche? Weil sie für alle gleichermaßen gelten und so keine Benachteiligung Einzelner bedeuten. So weit wird es aber nicht kommen, da bin ich mir ganz sicher. Stattdessen werden schwammige Formulierungen das Bild bestimmen, werden einzelne Bäume mit Nestern in den Kronen von der Nutzung ausgenommen. Doch wer soll das kontrollieren? Wenn der Baum einmal gefällt worden ist, kann kaum noch jemand den Verstoß im Gewirr der abgesägten Zweige entdecken, geschweige denn rückgängig machen. Und bei rund 20 000 Bäumen, die ein Förster im Jahr fällen lässt, können selbst Naturschutzorganisationen mit Hunderttausenden Mitgliedern nicht genug ehrenamtliche Helfer abstellen, um die Einhaltung der Bestimmungen zu überwachen. Aber Förster gelten ja als unverdächtig und somit als Garanten für das Wohl unserer gefiederten Mitgeschöpfe.
Ein besonders bizarres Beispiel liefert der Schwarzstorch. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war, als Ende der 1990er-Jahre die ersten Exemplare in meinem Revier auftauchten. Die Vögel standen für unverfälschte, intakte Ökosysteme, brauchen sie doch stille Wälder und saubere Bäche. Und sofort schrieben sich die Forstverwaltungen die Rückkehr der scheuen Tiere auf ihre Fahnen, nahmen sie als Beweis der gelungenen ökologischen Wirtschaftsweise. Ich glaubte das eine Zeit lang auch, bis ich von einer wissenschaftlichen Theorie erfuhr, welche mir diese Illusion raubte. Sie ging davon aus, dass die Störche nur deswegen zu uns zurückgekehrt sind, weil ihre Lebensräume im Baltikum gestört worden waren. Durch den Fall des Eisernen Vorhangs und den wirtschaftlichen Aufschwung der Ostseeanrainerstaaten wurden auch die dortigen Wälder stark durchforstet und verloren ihre ökologischen Qualitäten. Das klang logisch, da sich die Forstwirtschaft bei uns im gleichen Zeitraum eher verschärft denn verbessert hatte. Bei der Wahl zwischen Pest und Cholera hatte sich ein Teil der Schwarzstörche dann für die Plantagenwirtschaft im Westen entschieden,
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