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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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immerhin, das wären 5 500 Quadratkilometer. Damit würden wir zwar nur gut die Hälfte der Größe des Yellowstone-Nationalparks in Nordamerika erreichen, aber Deutschland ist ja auch dichter besiedelt, da tut jedes Schutzgebiet entsprechend mehr weh. Es ist ein weltweit zu beobachtendes Phänomen: Je menschenleerer die Landschaft, desto größer die Schutzgebiete und umgekehrt. Das ist auch sinnvoll, denn dünn besiedelte Gebiete sind in der Regel auch ursprünglicher, weisen mehr schutzbedürftige Arten auf und sind vor allem leichter als Nationalpark auszuweisen, da es kaum Widerstände aus der Bevölkerung gibt. Kein Wunder, dass die größten Schutzflächen Deutschlands im Wattenmeer zu finden sind. Wald ist da schon etwas völlig anderes, und so gesehen sind die angepeilten Prozentzahlen ein echter Fortschritt.
    Wer nun aber glaubt, diese Flächen würden zügig aus dem Verkehr gezogen und der Natur zurückgegeben, der täuscht sich. Denn die Einrichtung von Reservaten bedeutet ja auch, jemandem Nutzungsrechte wegzunehmen. Auf privatem Land hätte dies Entschädigungsforderungen zur Folge, was die Maßnahme extrem verteuern würde. Billiger wird es, wenn man trickst. Dazu lässt die Regierung ermitteln, wie viele Wälder schon heute nicht genutzt werden, und zwar nicht nur Nationalparks, sondern auch von privaten Eigentümern. Diese wissen oft gar nicht mehr, wo ihre kleinen Grundstücke liegen, da das Interesse an der Waldbewirtschaftung in den vergangenen Jahrzehnten sehr zurückgegangen ist. Diese Parzellen sollen dann einfach hinzugerechnet werden, obwohl an die Bäume im neuerdings aufkommenden Brennholzboom jederzeit wieder die Motorsäge angesetzt werden könnte.
    Auf eine Anfrage der Grünen, ob denn Flächen hinzugekauft werden sollten, antwortete die Bundesregierung, dass man auf das Prinzip der Freiwilligkeit setze. 25 Nur: Wer lässt sich schon freiwillig in seinen Rechten beschränken, selbst wenn er sie aktuell nicht nutzt? Angesichts ständig steigender Holzpreise wird die Bereitschaft entsprechend abnehmen, Stämme einfach den Spechten und Pilzen zu überlassen. Und so gelten fünf Prozent geschützte Waldfläche weiterhin als Minimalkonsens, der jedoch noch nicht mal konsequent umgesetzt wird.
    Ich bin der Meinung, dass nur das, was bei uns vorgelebt wird und Standard ist, auch anderen Ländern guten Gewissens zur Umsetzung empfohlen werden kann. Lassen Sie uns daher einmal einen Blick nach Brasilien werfen. Der Amazonasregenwald unterliegt den gleichen Begehrlichkeiten wie unsere heimischen Forste. Wertvolles Holz, potenzielles Weideland und Entwicklungsflächen für Straßen und Siedlungen liegen dort brach und »warten« nur darauf, endlich am Wirtschaftskreislauf teilzunehmen. Gewiss, es ist schon viel abgeholzt worden, etliche Arten sind für immer verschwunden. Und doch, es ist kaum zu glauben, stehen noch rund 80 Prozent der ursprünglich vorhandenen Wälder. Ich wünschte, das bliebe so, und ähnlich sehen es viele Menschen der westlichen Industrienationen. Die Umweltverbände mühen sich in großen Kampagnen, die Regierung zum Schutz dieses Menschheitserbes zu bewegen. Und auch unsere Politiker werden nicht müde, den Raubbau im Urwald anzuprangern. Wir alle miteinander sind aber keine ernst zu nehmenden Gesprächspartner mehr, seit die Menschen in Brasilien registriert haben, wie wir es selber mit dem Naturschutz halten.
    Bei uns gibt es keine Urwälder mehr, und ihre Rückkehr auf fünf Prozent der heutigen Waldfläche wird noch nicht einmal halbherzig forciert. Pro Kopf liegt das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland bei über 30 000 Euro 26 , während die Brasilianer pro Kopf nur 10 000 Euro (12 600 US-Dollar) 27 erwirtschaften und sie immerhin noch fünf Millionen Quadratkilometer (fast 60 Prozent des Staatsgebiets) ursprüngliche Wälder haben! Das ist mehr als die zehnfache Fläche Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zusammen. Diesen Menschen möchten wir nun vorschreiben, ihre riesigen Flächen nicht zu nutzen. Pro Einwohner Brasiliens wären dies 25 000 Quadratmeter Waldfläche, die nicht mehr angetastet werden dürften. Legt man die von der deutschen Bundesregierung angestrebten fünf Prozent einmal auf die Gesamtbevölkerung um, so müsste jeder von uns auf die Nutzung von 65 Quadratmetern verzichten. Welch ein Unterschied!
    Damit Sie mich nicht falsch verstehen, ich plädiere nicht für die Freigabe des Amazonasgebiets, für dessen Abholzung oder gar Bebauung. Nein,

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