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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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Jeder Baum muss von allen Seiten begutachtet werden, ob er beschädigt, krumm oder sonst wie ungeeignet für das spätere Ziel ist. Pro Quadratkilometer sind etwa 50 000 Bäume zu taxieren. Länger als zwei Stunden am Stück mache ich das nicht, weil dann die Wipfel vor den Augen verschwimmen.
    Die konventionelle, naturferne Art der Durchforstung ist die Z-Baum-Methode, bei der makellose Zukunftsbäume ausgewählt und markiert werden, die so lange stehen bleiben, bis sie als mächtige Stämme geerntet werden können. Alle fünf Jahre werden ein bis zwei Nachbarbäume pro Z-Baum entfernt, sodass dieser allmählich seine Krone ausdehnen kann. Im Gegensatz zur Plentermethode werden bei den Z-Bäumen nach und nach alle Nachbarn gefällt, große genauso wie kleine und halbwüchsige. Daher stehen irgendwann nur noch Elitekandidaten auf der Fläche, die alle innerhalb kurzer Zeit erntereif sind. Nach der Ernte befindet sich auf dieser Fläche dann erst einmal nichts. Und damit sind wir wieder beim Kahlschlag. Wer mit Zukunftsbäumen arbeitet, bleibt im System des konventionellen Waldbaus gefangen. Da nützen noch so große Beteuerungen nichts, man wolle ökologisch arbeiten.
    Achten Sie bei Ihren Waldspaziergängen doch einmal darauf, ob Sie diese Markierungen an den Bäumen finden: Vier farbige Punkte verteilt um den Stamm, ein Farbring rundherum oder ein Kunststoffband kennzeichnen die Auserwählten. Ein schräger Strich, mit Sprühfarbe aufgetragen, ist dagegen das Zeichen für die Holzfäller, dass dieser Baum entfernt werden soll. Falls Sie ein mal durch mein Revier laufen, müssen Sie sich umstellen. Denn hier, wo der Plenterwald das Ziel ist, werden nur die Entnahmebäume mit einem Papierband gekennzeichnet.
    Das Z-Baum-Modell entfernt den Wald also noch weiter von seinem natürlichen Aufbau, denn dadurch stehen irgendwann nur noch gleich dicke, gleich gute und gleich alte Exemplare auf einer Fläche. So etwas heißt im Fachjargon »Altersklassenwald«, und ähnlich einer Schulklasse ist hier nur noch ein einziger Jahrgang vertreten. Wenn aber alle Forstbetriebe umweltfreundlich wirtschaften wollen, warum wird dann weiterhin auf dem weitaus größten Teil der Waldfläche so gewirtschaftet? Das liegt daran, dass das Plentersystem den meisten Kollegen zu kompliziert ist. Mit den markierten Z-Bäumen lässt es sich viel einfacher wirtschaften. Einmal gekennzeichnet, sind spätere Durchforstungen ein Kinderspiel. Jedes Mal werden ein bis zwei Nachbarbäume mit Sprühfarbe gestrichelt und anschließend von den Waldarbeitern gefällt. So primitiv mutet das Verfahren an, dass die Markierung der zu fällenden Exemplare immer häufiger gleich den Waldarbeitern überlassen wird. Und warum überhaupt Waldarbeitern? Niedersachsen präsentierte schon vor Jahren eine Lösung, die mehr und mehr kopiert wird. Hier überließ man es versuchsweise den Fahrern der Erntemaschinen, welche Bäume sie entnehmen wollten. 47 Passieren konnte wenig, denn die wertvollen Z-Bäume waren mit ihrem Farbring tabu und alle anderen Exemplare sollten im Lauf der Jahre ja ohnehin verschwinden. Nebenbei wird bei solchen Aktionen manchmal auch das werbewirksam gepäppelte Laubholz beseitigt. Denn die jungen Buchen, die einst in die monotonen Nadelholzwüsten ge pflanzt worden sind, stören die Sicht der Maschinenfahrer. Sie können aus drei Meter Höhe die Stammfüße der Bäume nicht mehr erkennen, wo sie die Säge des Greifarms ansetzen müssen. Daher sägen die Harvester die belaubten »Störenfriede« einfach ab.
    Kommen wir noch einmal auf die Architekten zurück. Braucht man für solch eine einfache Forstwirtschaft überhaupt noch Förster? Genügt es nicht, wenn einmal ein Fachmann die Z-Bäume auswählt und alles andere den Holzfällertrupps überlässt? Genau so denken offensichtlich die staatlichen Forstverwaltungen, die den Zug mit Volldampf in diese Richtung steuern. Dies ist meiner Ansicht nach ein großer Fehler. Selbst wenn man beim einfachen Durchforstungsmodell und damit dem Altersklassenwald bleibt, gibt es doch eine Menge weiterer Dinge neben der reinen Holzernte zu berücksichtigen. Wer erkennt Brut- und Horstbäume und verhindert deren Fällung? Wer bemerkt seltene Quellbiotope, die mit ihren empfindlichen nassen Böden zu schonen sind? Wer entdeckt gefährdete Baum- und Straucharten, die in den Fichtenmeeren unterzugehen drohen und die Hilfe brauchen, indem man die Nadelbaumkonkurrenz entfernt?
    Mit der Vereinfachung der Methoden

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