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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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einem Dominospiel die angren zenden Bäume auch noch um. Summiert man die finanziellen Folgen der mangelhaften Kontrolle, so hat sich der Personalabbau nicht gelohnt.
    Der Schaden für den Wald geht aber noch weiter. Förster sind streng genommen Architekten. Sie sollen den Wald formen, ihn in die Richtung entwickeln, die Gesellschaft und Gesetzgeber vorgeben. Das ist heute in allen öffentlichen Forstbetrieben gesetzlich vorgeschrieben ein Wald, der sich an natürlichen Verhältnissen orientiert. Das Laubholz soll zurückkommen, Baumkinder zusammen mit ihren Eltern aufwachsen dürfen, das Nadelholz zurückgedrängt werden. Soll dieser Weg zurück zur Natur schonend ablaufen, so ist eine ausgeklügelte fachliche Strategie erforderlich. Jeder Eingriff, jede Baumfällung muss sorgfältig auf ihre Folgen hin durchdacht werden und die Förster sind hier besonders in Bezug auf ihr Vorstellungsvermögen gefordert. Sie müssen nicht nur wissen, wie der Wald nach der Entnahme der gekennzeichneten Bäume aussieht, sondern auch, wie sich dies über Jahrzehnte auf das Wachstum und die Entwicklung der verbleibenden Exemplare auswirken wird. Das Ziel ökologisch gesunder Laubwälder liegt oft mehr als 100 Jahre in der Zukunft und so wirken mehrere Generationen an der Waldumgestaltung mit.
    Für diese Gestaltungsarbeit haben die Förster kaum noch Zeit. Sie sitzen immer öfter im heimischen Büro am PC und bearbeiten den virtuellen Wald auf farbigen Luftbildern und mit allumfassenden Dateien. Forstliche Forschungseinrichtungen und Hochschulen entwickeln Programme, mit denen das Baumwachstum simuliert werden kann. Muss man da als Förster überhaupt noch jeden Baum draußen im Wald beobachten? Man kann ihn schließlich am Bildschirm aufrufen und verplanen, was bei schlechtem Wetter auch wesentlich angenehmer ist. Doch welcher Architekt arbeitet dann weiter an den Plänen, die Mono kulturen in natura in ökologische Paradiese zu verwandeln? In vielen Fällen lautet die traurige Antwort: »Keiner«, denn die Architekten haben den Maurern die Bauplanung überlassen. Im Wald sind es nun die Waldarbeiter, die mit Sprühdose die zu fällenden Bäume markieren. Nichts gegen die Holzfäller, die ihr ureigenes Geschäft sehr gut verstehen. Die Behandlung des Walds und seine ökologische Umgestaltung setzen aber nicht umsonst großes Fachwissen voraus. Und da ihnen dieses in aller Regel fehlt, kennzeichnen die Arbeiter einfach das, von dem sie glauben, dass es richtig ist.
    Die Folgen für die Baustelle Wald erschließen sich nur dann, wenn wir einen kleinen Exkurs in das Verfahren der Durchforstung machen. Dieser Fachbegriff meint eine Holzernte, bei der nur einzelne schlechte Stämme entnommen werden. Die Bäume mit der besseren Qualität, vor allem mit einem geraden Wuchs, bekom men so mehr Platz und können rascher dick werden. Sie sollen eines fernen Tages auf dem Höhepunkt ihrer Wuchskraft gefällt und gewinnbringend verkauft werden.
    Auf dem Weg zum ökologisch bewirtschafteten Wald, der ohne Kahlschläge auskommen soll, ist es wichtig, die halbwüchsigen Bäume bei den Durchforstungen zu erhalten. Denn sie sollen später einmal die Lücke füllen, die ein erntereifer Baum im Wald hinterlässt. Werden einzelne Bäume zu Pflegezwecken entnommen, so muss man von den krummen zwingend die dicksten Exemplare fällen, auch wenn das vielleicht paradox klingen mag. Denn nur sie machen genügend Platz im Kronenraum für ihre gut geformten Nachbarn. Die Halbwüchsigen, oft Zwischenstand genannt, reichen mit ihren Wipfeln noch gar nicht bis oben, ihre Entnahme würde den Großen daher nicht helfen.
    Wird diese Strategie konsequent verfolgt, so bildet sich im Lauf der Jahrzehnte ein sogenannter Plenterwald. Er besteht aus Bäumen aller Größen und Altersstadien, jedenfalls bis zum geplanten Zielalter, die auf der ganzen Fläche durchmischt sind. Ältere Bäume stehen über ihrem Nachwuchs, erziehen die Jugendlichen und erzeugen ein feuchtes, gleichmäßig temperiertes Waldklima. Auf gut Deutsch, hier geht es den Bäumen gut. Der Plenterwald ist die Form des Wirtschaftswalds, die einem Urwald am ähnlichsten ist. Nur eines fehlt auch ihm: die Altersphase der Bäume. Denn bevor sie zu faulen anfangen, werden die Dicksten gefällt. Daher überlässt ein ökologisch wirtschaftender Förster zusätzlich noch einige Teilbestände alter Buchen und Eichen sich selbst.
    So zu durchforsten, ist sehr anstrengend und erfordert eine ständige Konzentration.

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