Der Wald - ein Nachruf
krank werden!
Das Wochenende kam mit sommerlichen Temperaturen und blauem Himmel. Für den 8. Mai war das eher untypisch für die Eifel und ich nahm es als gutes Omen. Thorsten, Heinz, Claudia, Dieter und Stefan, die zahlenden Gäste, trafen gut gelaunt ein. Stefan bekundete gleich zu Anfang, dass ihm nicht ganz wohl sei – keine gute Voraussetzung für eine Grenzerfahrung.
Um das Gefühl der Einsamkeit noch zu steigern, wählte ich den Anmarschweg zum Lager besonders unbequem. Es ging durch unwegsames Gelände, durch Gestrüpp und dichte Schonungen, bis wir einen kleinen Talkessel erreichten. Hier war es besonders still, sodass auch nachts kaum Geräusche von Straßen oder den Dörfern zu hören waren. Der winzige Bach lieferte Wasser in Trinkwasserqualität und ein Fichtenwald das nötige Brennholz.
Die Teilnehmer legten ihr Gepäck unter die Bäume, und dann kamen die Äxte zum Einsatz. Mit großem Hallo wurden mehrere Stämme gefällt und entastet, denn wir brauchten eine Menge grüner Zweige, die wir wannenartig in Schlafsacklänge aufschichteten. Das ergab eine weiche, federnde und gut isolierende Unterlage. Es dauerte etwa eine Stunde, bis für jeden ein solches Nachtlager errichtet war. Bis dahin lief alles wie geplant. Auch die nachfolgende Nahrungsbeschaffung für das Abendessen machte meinen Gästen Spaß. Da wurden, geschützt mit Arbeitshandschuhen, die ich extra dafür eingepackt hatte, Brennnesseln gerupft und in Baumwollbeutel gestopft, Waldweidenröschen gepflückt und vor allem Insektenlarven gesammelt. Ich forderte die Teilnehmer auf, mit Messern unter der Rinde von toten Bäumen zu stochern, um Bockkäferlarven, Asseln und Regenwürmer zu finden. Heinz, Thorsten und Claudia waren sogar so mutig, das Krabbelzeug lebendig zu probieren. Stefan fühlte sich leicht unwohl und Dieter wollte später am Feuer die geröstete Variante probieren. Stimmung kam auf, als Claudia von einer Bockkäferlarve mit deren dicken Zangen in die Zunge gezwickt wurde – ein wehrhafter Snack.
Das Entzünden des Feuers mit Stahl und Feuerstein war ein weiterer Programmpunkt, der eine gewisse Seriosität vermit telte – denn es gelang mir auf Anhieb, eine Flamme zu erzeugen. Die Brennnesseln wurden gekocht, ausgewrungen und zu Frikadellen geformt. Gesalzen und in Öl gebraten schmeckten sie tatsächlich relativ brauchbar, und das wollte nach den Erfahrungen meiner Probeübernachtung schon etwas heißen.
Die Handvoll Insekten in der Bratpfanne verwandelten sich zu einer Art tierischer Chips und wurden zum kulinarischen Höhepunkt. Alle waren einigermaßen satt oder machten zumindest den Anschein, nun konnte also das gemütliche Beisammensein am Lagerfeuer beginnen. Ich selbst hatte, so muss ich gestehen, zu Hause kurz vor dem Abmarsch noch eine ganze Tafel Nussschokolade verdrückt, um eine gewisse Reserve mitzunehmen. Ganz im Gegensatz zu meinen Leidensgenossen, die größtenteils wegen der langen Anreise schon auf das Mittagessen verzichtet hatten.
Es wurde dunkel und alle saßen oder lagen um die Feuerstelle. Nun stand eine kleine Vorstellungsrunde an, die ich auf diesen Zeitpunkt verschoben hatte. Jeder schilderte seine Motivation, ein solches Wochenende zu buchen. Das Schlafen im Wald, das Feuer, die eigenen Grenzen – die meisten Teilnehmer nannten die selben Beweggründe. Wir vereinbarten noch eine Feuerwache, zu der die Dienste während der Nacht ausgelost wurden, und dann ging es müde in den Schlafsack.
Ich hatte gehofft, dass im stockfinsteren Wald jede Menge Tiergeräusche zu hören waren, quasi als akustischer Hintergrund für unser uriges Lager. Aber da war nichts, noch nicht einmal das Rascheln des Windes in den Kronen. Das wusste ich bis dato nicht: Die abendliche Brise schläft meistens ein und frischt erst gegen Morgen wieder auf. Waldnächte sind stille Nächte.
Beim Erwachen machte sich der Herdentrieb bemerkbar. Kaum schälte sich Stefan aus dem Schlafsack, so hielt es auch die anderen nicht mehr auf ihrem Lager. Der Morgenkaffee fiel mangels Kaffeepulver aus, stattdessen wurden Fichtentriebe ins heiße Wasser geworfen. Das schmeckte ganz nett nach Zitrone, aber ohne Zucker und vor allem ohne Brötchen war das doch ein wenig dünn. »Was gibt’s denn zum Frühstück?«, fragte Heinz. »Entweder die restlichen Brennnesselfrikadellen oder das, was ihr sonst noch findet«, war meine Antwort. Also nichts, denn die kalten Frikadellen hatten ihren Reiz verloren.
Zum Zähneputzen nahmen wir
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