Der Wald - ein Nachruf
wenn Sie mehr erleben möchten. Feuer machen, zelten oder gar Bäume fällen ist gesetzlich verboten, es sei denn, der Wald gehört Ihnen oder Sie be suchen einen touristisch ausgerichteten Forstbetrieb wie bei spielsweise in Hüm mel. Denn hier gibt es spezielle Angebote für Freizeitabenteurer.
Ende der 1990er-Jahre stellte ich den Wald mit der Gemeinde auf ökologische Bewirtschaftung um. Keine Kahlschläge mehr, kein Nadelholzanbau, keine Erntemaschinen. Für die erste Zeit bedeutete dies einen Einnahmerückgang, so dachte ich zumindest. Und damit das Ökoprojekt nicht aus finanziellen Gründen gefährdet würde, mussten andere Einnahmequellen her.
In meinem alten Geländewagen war kein Autoradio eingebaut und so gab es keine Ablenkung während der Fahrten. Meine Gedanken kreisten ständig um den Wald. Und eines Tages, auf einem einsamen Waldweg, kam ich auf die Idee – Survivaltraining. Als Jugendlicher hatte ich die Reiseberichte von Rüdiger Nehberg gelesen und war fasziniert von seinen Abenteuern mit Minimalausrüstung. Der gelernte Bäcker hatte einfach seinen Job an den Nagel gehängt und durchzog die entlegensten Winkel der Erde. Würmer als Hauptspeise, ein Reisiglager unter rauschenden Bäumen, das musste doch auch bei uns möglich sein! Rudi, der Bürgermeister von Hümmel, war einverstanden, und so konzipierte ich ein Wochenendprogramm für den Gemeindewald. Schnell war ein kleiner Flyer fabriziert und die örtliche Presse druckte gern einen Artikel über den verrückten Förster, der ein Überlebenstraining anbot. So waren die fünf Teilnehmerplätze rasch ausgebucht; losgehen sollte es an einem hoffentlich warmen Maiwochenende.
Da ich das alles selbst noch nie gemacht hatte, kamen mir im mer mehr Bedenken, je näher der Termin rückte. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hatte ich auch noch den WDR informiert, der daraufhin für Samstagnachmittag ein Kamerateam angekündigt hatte. An sich wäre dies schöne kostenlose PR, aber wehe, wenn etwas schiefgehen sollte: Dann würden Hunderttausende von Fernsehzuschauern Zeugen meines Scheiterns.
Daher entschloss ich mich, wenige Tage vorher mit meinem Kollegen Jens einen Probedurchlauf zu machen und wenigstens eine Nacht im Wald zu verbringen. Die Ausrüstung war so spartanisch, wie sie auch für die Teilnehmer werden sollte: Im Rucksack befanden sich ein Schlafsack, eine Blechtasse und ein Jagdmesser. Daneben gab es noch ein paar Küchenutensilien wie eine Emaillekanne, Töpfe und eine schmiedeeiserne Pfanne. Um das Feuer stilecht zu entzünden, hatte ich mir einen Feuerstein sowie speziellen Stahl besorgt, der gut Funken schlug. Und zuletzt kam noch etwas Speiseöl, ein Paket Mehl und ein Glas mit Salz ins Gepäck, um die Wildnisdelikatessen geschmacklich akzeptabel herzurichten.
Gesagt, getan: Wir stapften los in ein einsames Waldgebiet, um dort ungestört unser Lager aufzuschlagen. Unterwegs sammelten wir ein wenig Nahrung, und dies war bereits der erste Reinfall. Jetzt erst merkte ich, wie bescheiden die brauchbaren Informationen in den Ratgebern waren, die es inzwischen zum Thema Survival gab. Da war kapitelweise von Bärenfallen, der Einrichtung von Hubschrauberlandeplätzen sowie vom richtigen Schießen mit Pistolen die Rede. Beim Thema Essen jedoch wurden die Autoren durchweg sehr einsilbig. Immerhin kannte ich noch ein paar heimische Kräuter, die als genießbar galten. Auch Insektenlarven sollten ja gesundes Eiweiß enthalten, und damit hatten wir bereits etwas Auswahl. Unter der Rinde einer umgestürzten Fichte fanden wir einige Bockkäferlarven. Der weiße Körper endete in einem braunen Kopf mit spitzen Zangen. Große Exemplare kamen auf vier Zentimeter Länge, sodass es beim Draufbeißen ordentlich spritzte. Der Geschmack war nussig-erdig, aber mir kam das dennoch ziemlich ekelhaft vor.
Gut, dann sollte es eben Löwenzahn- und Wiesenschaumkrautblüten geben. Wir warfen die Blumen in eine Pfanne mit heißem Öl und waren ganz gespannt auf den Geschmack. Mit dem ersten Bissen im Mund schauten wir uns kauend an. Jens spuckte aus, ich aß tapfer weiter. »Mann, sind die bitter«, entfuhr es meinem Kollegen. Ich nickte und ergänzte: »Zäh sind sie auch.«
Nach dieser Mahlzeit schlüpften wir mit knurrendem Magen in unsere Schlafsäcke. Und trotz meiner Müdigkeit lag ich die ganze Nacht wach. Was sollte ich bei der Veranstaltung in den kommenden Tagen bloß machen? Wäre es nicht besser, die Aktion abzublasen? Ich könnte ja einfach
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