Der Wald ist schweigen
glauben … Laura ist bestimmt keine Mörderin.« Sie bricht ab und verbirgt ihr Gesicht in den Händen. »O Gott.«
Laura ist am Tatort gewesen, Laura war eine Schülerin von Andreas Wengert, Laura wusste von der Flinte. Trotzdem muss Judith der Försterin zustimmen. Auch ihr fällt es schwer zu glauben, dass dieses 17-jährige Mädchen eine kaltblütige Doppelmörderin sein soll. Sie ruft Manni an und informiert ihn über ihr Gespräch mit Diana Westermann. Sie reden höflich miteinander, zurückhaltend und doch beinahe so effektiv wie ein eingespieltes Team. Manni wird veranlassen, dass sich die beiden Ks um die Drohung auf dem Hochsitz kümmern, der Anfänger wird Diana Westermanns afrikanischen Chef ausfindig machen, sobald er auf der Jagd nach der Familie von Darshan Maria Klein eine Pause hat. Sie werden das Forsthaus durchsuchen und die Patronen ins Labor schicken. Judith selbst wird versuchen, im Sonnenhof vorwärts zu kommen. Sie hört Mannis Stimme deutlich an, dass er nicht glücklich darüber ist. Er kann jederzeit beschließen, nicht mehr mitzuspielen, das weiß sie, und sie könnte es ihm nicht einmal verdenken. Sie verscheucht den Gedanken daran, was Millstätt tun wird, wenn er von ihrem illegalen Alleingang erfährt, bevor sie Erfolge vorweisen können.
Sie zündet eine Zigarette an und gibt Gas. So gerne möchte sie zuversichtlich sein, aber die Angst der Försterin und Mannis Unbehagen kleben an ihr wie Schatten. Sie steuert ihren Passat um die letzte Kurve vor dem Schnellbachtal und der Sonnenhof liegt vor ihr, still und seltsam verschlossen, obwohl die Morgenmeditation längst beendet sein muss. Judiths innere Unruhe nimmt zu. Wer ist Täter, wer ist Opfer? Nichts erscheint klar in diesem Fall. Das Einzige, was Judith plötzlich weiß, ist, dass sie schnell sein muss. Nicht nur, um sich selbst zu retten, sondern auch, weil dort in diesem malerischen Gehöft aller Wahrscheinlichkeit nach ein Mörder lebt, der wieder zuschlagen wird, wenn sie ihn nicht stoppt.
***
»Schädelbruch«, sagt Karl-Heinz Müller und streicht beinahe liebevoll über die blonden Zöpfe der Toten. »Armes Kind.«
Manni versucht, nicht allzu genau hinzugucken, als der Rechtsmediziner sich nach dieser ungewohnt emotionalen Geste wieder an den Überresten der inneren Organe zu schaffen macht. Obduktionen sind mit Sicherheit der unerfreulichste Part des Polizistendaseins, nicht einmal seine Fisherman’s können ihn in solchen Momenten retten. Manni setzt sich auf einen unbenutzten Seziertisch, nicht ohne vorher zu kontrollieren, ob dessen metallene Oberfläche sauber ist.
»Also könnte unsere Kandidatin hier ohne Fremdeinwirkung gestorben sein? Einfach unglücklich gestürzt, und adieu?«
Karl-Heinz Müller schnaubt in seine Gesichtsmaske und macht sich an dem halbskelettierten Brustkorb zu schaffen. »Ihr Rucksack wog dank der Steine 41 Kilo. Ziemlich unwahrscheinlich, dass dieses zierliche Mädchen damit durch den Wald marschiert ist.«
Daran hätte er auch selbst denken können. Manni bemüht sich, sich seinen Ärger darüber nicht anmerken zu lassen. Der Rechtsmediziner kann schließlich nichts dafür, dass er mit seinen Gedanken immer noch bei dem Pakt ist, den er wider alle Vernunft mit Judith Krieger geschlossen hat.
»Hast Recht, Karl-Heinz«, sagt er versöhnlich. »Aber es gibt definitiv keine Schusswunden? Sie ist gestürzt und dann hat ihr einfach jemand den Rucksack aufgesetzt und sie in den Krater geschmissen?«
»Kann auch sein, dass dieser Jemand schon bei dem Sturz nachgeholfen hat. Aber das werden wir wohl nie mit absoluter Sicherheit sagen können.«
Manni denkt an den violetten Stoff und das Handy. Der Fetzen passt exakt ins Kleid der Toten. Die beiden Ks haben ihn entgegengenommen, ohne dumme Fragen zu stellen. Im Augenblick kriechen sie wahrscheinlich um den Fundort herum, den die Krieger markiert hat. Aber Karl-Heinz Müller hat Recht: Die Chance, dass sie noch irgendwelche brauchbaren Spuren finden, ist gleich null. Zwischen vier und acht Monaten hat die Tote auf dem Grund des Schlammlochs gelegen – genauere Angaben will der Rechtsmediziner erst machen, wenn das Labor den Sauerstoffgehalt des Schlamms analysiert hat.
»Der Krater liegt unterhalb eines Steilhangs.« Manni beschließt, Karl-Heinz Müller an seinen Überlegungen teilhaben zu lassen. Außerdem, das weiß er aus Erfahrung, ist professionelle Fachsimpelei das beste Mittel gegen die latent lauernde Übelkeit während einer
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