Der Wald ist schweigen
eingelassen hat.
***
Drei Stunden Schlaf und kein einziger Alptraum. Judith fühlt tatsächlich so etwas wie Zuversicht, als sie um acht Uhr morgens an die Tür des Forsthauses klopft.
»Die Toten«, sagt die Försterin statt einer Begrüßung. »Sie hatten blonde Haare. Lange blonde Haare. Wie ich. Ist das ein Zufall? Ich meine – halten Sie es für möglich, dass diese Morde ein Irrtum waren. Dass eigentlich ich das Opfer hätte sein sollen?«
»Warum sollte jemand Sie umbringen wollen?«
Die hellgrünen Augen der Försterin scheinen durch Judith hindurchzusehen, sie spricht einfach weiter, als hätte sie ihre Frage gar nicht gehört.
»Ich muss immer wieder an den Toten auf dem Hochsitz denken, ich kann diesen Anblick einfach nicht vergessen. Seitdem denke ich immer wieder, das hätte ich sein sollen. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, hat es auf mich abgesehen.«
Die Einrichtung von Diana Westermanns Wohnzimmer ist eine Beleidigung für jeden Anhänger moderner Wohnkultur. Über dem Kamin hängen ein Hirschgeweih, allerlei undefinierbare verstaubte Gerätschaften aus Holz und ein leichtes Jagdgewehr, eine Couchgruppe ist mit Afrikadecken dekoriert. Es gibt eine düstere Eichenanrichte, einen Schaukelstuhl mit einem grausam karierten Kissen und ein mächtiges Klavier, vor dem die Försterin Halt macht. Sie wirkt immer noch weit weg.
»Das ist meine Freundin Kate.« Die Försterin deutet auf ein gerahmtes Foto, das sie selbst und eine afrikanische Frau vor einer Lehmhütte zeigt. »Und das sind Kates Tochter, Mary-Ann, und Kates Pflegesohn Jo-Jo. Und das«, sie nimmt ein anderes Bild in die Hand, »das ist Mary-Ann mit ihrer Tochter Belinda.«
Ein hübsches schwarzes Mädchen hält einen hellhäutigeren Säugling im Arm und lächelt. Die Försterin poliert den silbernen Rahmen behutsam mit dem Ärmel, bevor sie ihn wieder aufs Klavier stellt.
»Mary-Ann sieht noch sehr jung aus«, bemerkt Judith.
»Sie war gerade 15, als mein Boss sie geschwängert hat.«
»Ihr Boss?«
»Mein Boss in Afrika. Robert Walter. Der große, edle Rob. Ein Gutmensch wie aus dem Bilderbuch. Der Leiter der Entwicklungshilfeorganisation Nature-Nurture, für die ich in Afrika war. Ich habe ihn bewundert, die Art, wie er sein Leben vollkommen in den Dienst anderer stellt. Bis zu jenem Tag, an dem ich ihn mit Kates Tochter erwischte. Zuerst haben wir gehofft, dass Mary-Ann nicht schwanger ist. Vergebens natürlich.« Sie stößt ein bitteres Lachen aus. »Dann dachten wir – nun, immerhin hatte er kein Aids und auf jeden Fall würde er für den Unterhalt aufkommen. Aber was glauben Sie wohl – das Dreckschwein hat einfach geleugnet, der Vater zu sein. Also hab ich dafür gesorgt, dass er sich das anders überlegt.« Den Blick auf das Foto von Mary-Ann und Belinda gerichtet, spricht sie weiter. »Vaterschaftstests, Gerichtsurteile zu Gunsten der Mutter – so was können Sie in Kenia vergessen, das wusste er so gut wie ich. Aber der Skandal, wenn ich ihn in Deutschland bloßstellen würde! Die Einbußen bei den Spenden! Also haben er und ich, seine ehemals hoch geschätzte Lieblingsmitarbeiterin, eine Vereinbarung getroffen: Er bezahlt Belindas Unterhalt und noch dazu genug Geld, dass Mary-Ann und Jo-Jo in die Schule gehen können und Kate in M’Bele das fortführen kann, was sie und ich gemeinsam aufgebaut haben. Mir besorgt er einen Job in Deutschland. Und dafür halte ich dicht.«
»Sie haben ihn also erpresst.«
»Bevor Rob nach Afrika ging, hatte er eine Professur in Forstwirtschaft. Ich wusste, dass er immer noch gute Kontakte zu vielen Forstämtern hat. Ich habe mich nicht dafür interessiert, wie er mir diese Stelle hier besorgt hat. Ich war einfach nur froh, dass ich wegkonnte, denn alles, wofür er und ich uns in Afrika drei Jahre lang eingesetzt hatten, hatte er zerstört.«
»Nur das Schicksal von Kate und ihrer Familie, das wollten Sie nicht ruhen lassen.«
»Das müssen Sie doch verstehen.«
»Sie glauben also, dass dieser Rob Sie ermorden will, damit die Erpressung ein Ende hat? Ist er denn wieder in Deutschland?«
»Ich weiß es nicht. Vor ein paar Wochen hat Kate so etwas angedeutet. Angeblich wolle Rob sich aus dem operativen Geschäft vor Ort zurückziehen, aber sicher bin ich nicht. Er zahlt die vereinbarte Summe auf ein Konto in Mombasa. Vielleicht hat er ja auch jemanden geschickt.«
»Ein gedungener Mörder? Glauben Sie das wirklich?«
Wie zum Schutz verschränkt die Försterin die Arme
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