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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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Obduktion. »Vielleicht ist sie vor ihrem Mörder geflohen. Oder es war ein Unfall. Sie stürzt, schlägt mit dem Kopf unglücklich auf, ihr Begleiter gerät in Panik, aus Angst, dass er des Mordes bezichtigt wird. Also lässt er ihre Leiche verschwinden und hofft, dass sie niemals gefunden wird.«
    Karl-Heinz Müller richtet sich auf. In seinen Augen glaubt Manni etwas zu lesen, was für den sonst so fröhlichen Rechtsmediziner absolut untypisch ist: Betroffenheit. »Ich fürchte, so war es nicht.«
    »Sondern?«
    »Sie hat einen Schädelbruch erlitten, wahrscheinlich ist sie mit der Schläfe an einen Baumstamm geknallt, es gibt entsprechende Einblutungen im Gehirn. Sie konnte sich mit dieser Verletzung nicht mehr bewegen, aller Wahrscheinlichkeit nach war sie bewusstlos. Aber das heißt nicht, dass sie nicht mehr gelebt hat.«
    Karl-Heinz Müller zieht den Mundschutz herunter und zündet sich eine Davidoff an. »Weiß der Himmel, was ihr noch alles widerfahren ist, bis sie endlich sterben durfte. Viel werde ich nicht mehr beweisen können. Aber ein bisschen brauchbares Lungengewebe gibt es noch, und darin habe ich Diatomeen gefunden.«
    »Dia …?«
    »Kieselalgen.«
    »Sie hat also noch geatmet, als sie in das Schlammloch geworfen wurde?«
    Karl-Heinz Müller stößt zwei Rauchsäulen aus den Nasenlöchern. »Herrgott, wer tut so etwas? Eine Schwerverletzte ertränken wie eine neugeborene Katze? Wie viel Hass gehört dazu? Ich bin nicht einmal sicher, ob ich die Antwort wissen will. Es gibt wirklich Tage, da frage ich mich, warum ich diesen Scheißjob eigentlich mache.«
    »Ich weiß genau, was du meinst.« Beim Gedanken an das grauenhafte Lebensende des blonden Mädchens wird Manni noch eine Spur flauer im Magen. Karl-Heinz Müller wirft seine Zigarette auf den Steinfußboden, streift den Plastiküberzieher mit einer lässig-routinierten Handbewegung vom Fuß und zerstampft die qualmende Kippe mit dem Absatz.
    »Tschö, Karl-Heinz, ich muss los. Lass mich wissen, wenn du noch was findest, ja?« Manni beschließt, Juliane Wengert mit den neuesten Erkenntnissen zu konfrontieren, auch wenn er immer weniger glaubt, dass sie die Täterin ist. Doch etwas weiß sie, und das muss sie jetzt preisgeben.
    »Schau du lieber zu, dass du den Täter findest.« Der Rechtsmediziner wendet ihm brüsk den Rücken zu und macht sich wieder an die Arbeit.
     
    ***
    Es ist wie ein Déjà-vu. Als Judith auf dem Sonnenhof-Parkplatz aus ihrem Passat steigt, steht der rothaarige Kermit vor ihr wie ein aus dem Boden gewachsener Wachhund. Obwohl ein eisiger Wind weht und die Temperaturen nur wenig über dem Gefrierpunkt liegen, trägt er immer noch Plastiklatschen an den nackten, bläulichen Füßen. Doch anders als bei ihrer ersten Begegnung lächelt er nicht, und auch Judith verspürt wenig Lust auf höfliches Geplänkel.
    »Vedanja, hallo.« Scheinbar beiläufig nickt sie ihm zu.
    »Wir dachten, du seist abgereist, wegen …«. Er macht eine Kopfbewegung zum Wald hin, offenbar um Worte verlegen.
    »Das dachte ich auch. Aber es hat sich herausgestellt, dass ich nach wie vor Urlaub habe. Also bin ich zurückgekommen.«
    Immer noch versperrt er ihr den Weg zu der Holztreppe, die hinauf zum Haupteingang führt. Am liebsten würde er ihr wahrscheinlich den Zutritt zum Sonnenhof ein für alle Male verbieten und sie zum Teufel jagen.
    »Ich hoffe, das ist in Ordnung? Wenn ihr den Seminarbetrieb eingestellt habt, fahre ich natürlich wieder.«
    »Haben wir nicht.«
    »Ich könnte gut verstehen, wenn ihr erst mal allein sein wollt, wo es doch so aussieht, als ob die Tote eine von euch gewesen ist. Was für ein schreckliches Gefühl muss das sein. Darshan hieß sie, nicht wahr?«
    Sie sieht, wie sich seine Augen für den Bruchteil einer Sekunde weiten.
    »Darshan«, wiederholt sie. »Mein aufrichtiges Beileid. Sie stand dir nahe, oder?«
    »Ist das hier jetzt doch ein Verhör?«
    »Nein, ich wollte nur nett sein. Ich habe vor einiger Zeit selbst einen guten Freund verloren, ich weiß, wie weh das tut. Du hast dich doch um Darshans Handy gekümmert, oder? Deshalb dachte ich, dass du ihr nahe standst.«
    Jetzt hat sie ihn da, wo sie ihn haben will – in der Zwickmühle. Er muss auf ihre Anteilnahme eingehen, muss ihr antworten, wenn er sich nicht verdächtig machen will, und das weiß er. Seine Glupschaugen funkeln vor mühsam unterdrückter Wut.
    »Die Försterin hat mir das Handy gegeben. Und ich hab’s zu unseren Fundsachen getan, weil ich keine

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