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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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vernehmungsfähig ist. Nur ihre Schreie kann er nicht so schnell loswerden, sie gellen in seinem Kopf, auch als sich die Aufzugtüren schon hinter ihm geschlossen haben und er sein Handy wieder einschaltet, das augenblicklich zu klingeln beginnt.
     
    ***
    »Wir wollen an unsere ehemalige Gefährtin Darshan denken und ihr positive Energie und Kraft dorthin schicken, wo sie jetzt ist«, sagt Beate von Stetten salbungsvoll und stellt eine Kerze neben einen leeren Teller mitten auf den langen Holztisch im Speisesaal. Schweigend bilden sie einen Kreis und halten sich an den Händen, während Beate von Stetten Mantras zu singen beginnt. Ihre Stimme ist wohltönend und kräftig, ein überraschender Widerspruch zu ihrer verhärmten, mageren Gestalt. Heiner von Stetten und die Kommissarin sind nicht zum Mittagessen gekommen und das erfüllt Laura mit Unbehagen. Was ist, wenn die Kommissarin doch hier ist, um zu ermitteln? Wenn die beiden jetzt über sie reden? Sie mag es nicht, wie diese Kommissarin sie ansieht – trotz ihres Nennmich-doch-Judith-komm-wir-rauchen-eine-Zigarette-Getues. Ihre Augen sehen viel zu viel, gleichzeitig liegt etwas darin, etwas Dunkles, Trauriges, zu dem sich Laura hingezogen fühlt. Nicht so hingezogen wie zu Diana, die lustig ist, spannend, ein guter Kumpel, die beste Freundin, sondern anders, gefährlich.
    Wir nehmen Judith für eine Weile bei uns auf. Sie hat einen schmerzlichen Verlust erlitten und möchte hei uns Kraft tanken, hat Heiner von Stetten gesagt. Vielleicht beobachtet die Kommissarin Laura also gar nicht. Vielleicht will sie wirklich nur meditieren. Obwohl sie auch beim Meditieren nicht aufhört, in den Gesichtern der anderen zu forschen. Jedesmal, wenn Laura bei der Meditation die Augen öffnet, kann sie das sehen.
    Sie singen dreimal das Om und die anderen beginnen zu essen. Laura stochert in ihrem Salat herum und überlegt, wie es ist, wenn man tot ist. Beate hat gesagt, dass man beim Sterben aus seinem Körper herausschwebt und noch eine Weile unsichtbar auf der Welt bleibt, um Abschied zu nehmen, und dass Seelen, die auf ein großes Chaos zurückblicken, manchmal nicht loslassen können, sondern in einer Art Halbwelt gefangen sind, unerreichbar für die Lebenden wie auch für die Toten. Unwillkürlich schaut Laura zur Decke hoch. Vielleicht ist diese Darshan hier oben und vielleicht ist auch Andi hier irgendwo ganz nah bei ihr und sie sieht ihn bloß nicht. Vielleicht kann er nicht loslassen, bis sein Mörder gefunden wurde. Vielleicht versucht er sogar, sich bei ihr zu entschuldigen. Sie kann immer noch nicht glauben, dass dieser superdynamische Kommissar Recht hat und dass Andi wirklich etwas mit diesem verhätschelten Püppchen Tanja angefangen hat. Und wenn schon, denkt sie trotzig. Sie hat schließlich auch einen Geliebten. Und außerdem bringt es nichts, über das zu grübeln, was vorbei ist. Die Vergangenheit ist gefährlich, sagt ihr Geliebter immer. Besser man lässt sie ruhen, weil man sie sowieso nicht ändern kann.
    Sie sieht zu ihm herüber. Zu Jey, der nun nicht mehr der andere für sie ist, sondern der Einzige. Er redet mit Beate, ist scheinbar völlig in dieses Gespräch vertieft, aber Laura lässt sich davon nicht täuschen. Sie weiß, dass er sie trotzdem wahrnimmt, immer ist das so, seit sie zum ersten Mal miteinander geschlafen haben, und einen Moment lang macht ihr das Angst. Warum vertraut er ihr nicht? Sie hat Andi doch wirklich nur noch ganz zu Anfang ihrer Beziehung mit Jey getroffen. Neulich, als sie von den Schafen in ihr Zimmer kam, saß er an ihrem Schreibtisch, und sie hätte in dem Moment schwören können, dass er in ihrem Tagebuch gelesen hat, aber wahrscheinlich hat sie sich das doch nur eingebildet. Trotzdem wagt sie es seitdem nicht mehr, etwas über Andi in ihr Tagebuch zu schreiben. Der Salat schmeckt nicht, sie schiebt ihren Teller beiseite. Natürlich vertraut Jey ihr, er hat einfach nur Angst, weil er sie liebt und sie nicht verlieren will. Dabei muss er sich wirklich keine Sorgen machen, sie hat ihre Lektion gelernt. Sie wird über Andi schweigen, wie sie es ihm versprochen hat, sie wird ihn nie mehr wiedersehen und sie wird auch ihre neue Liebe zu Jey nicht verraten. Weil sie stark ist und erwachsen und allein auf sich aufpassen kann. Niemand kann sie zwingen, etwas zu sagen, wenn sie das nicht will.
     
    Vedanja setzt sich neben sie und legt den Arm um ihre Schultern.
    »Alles in Ordnung? Du isst ja gar nichts. Deine Mutter kommt

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