Der Wald ist schweigen
heute Abend, Laura, um dir beizustehen. Aus Italien.«
Sie macht sich steif unter seiner Hand, fühlt Jeys wachsamen Blick, wünscht sich weit weg.
»Ich will sie nicht sehen.«
»Ich fürchte, das geht nicht, Laura.« Vedanja klingt beinahe belustigt. »Der Kommissar wird sie herbringen, sobald ihre Maschine aus Florenz gelandet ist. Damit sie bei dir ist, wenn die Polizei ihre Fragen stellt.«
»Ich weiß nichts. Ich brauche sie nicht.«
»Trotzdem, kleine Laura, trotzdem. Es ist besser so.«
»Nenn mich nicht so! Ich bin nicht klein!« Sie reißt sich los und rennt aus dem Speisesaal, über die Wiese zu ihren Schafen, die sie anglotzen und nichts anderes von ihr fordern als frische Streu, Wasser und Futter.
***
Auf Mannis Schreibtisch türmen sich Zettel und Akten mit ungeklärten Fragen, Tischtelefon und Handy klingeln scheinbar unaufhörlich, und ihm gegenüber, auf Holger Kühns Arbeitsplatz, hockt der Anfänger und telefoniert ebenfalls, als gelte es sein Leben. Was ja gewissermaßen auch stimmt. Schließlich hängt seine berufliche Zukunft im KK II genauso an einem Ermittlungserfolg wie Mannis. Da tut es nichts zur Sache, dass der überwiegende Teil der Bewohner Kölns seit 11.11 Uhr aus kostümierten, schunkelnden und johlenden Betrunkenen zu bestehen scheint, die den Auftakt der Karnevalssession feiern.
»Sie sind also ganz sicher, dass Andreas Wengert eine junge Frau namens Darshan Maria Klein niemals erwähnt hat?«, fragt der Anfänger in den Telefonhörer, während seine dünnen, dunkelbehaarten Finger einen weiteren Namen von einer Liste streichen. Hinter ihm glotzen Holger Kühns plattnasige, triefäugige Boxer so melancholisch von der Wand, als sei der Fall Erlengrund schon zum Teufel gegangen. Wütend zerbeißt Manni ein Fisherman’s. Soeben hat ihn Millstätt darüber informiert, dass Juliane Wengert, die einzige Verdächtige mit einem halbwegs plausiblen Motiv, die sie bislang vorweisen konnten, nach Hause gehen darf, sobald sie wieder bei Kräften ist. Was also bleibt ihnen, 16 Tage nach Ermittlungsbeginn? Sie haben kein Motiv, keine heiße Spur, nicht einmal eine Verbindung zwischen den beiden Opfern. Der Anfänger verdrückt sich zum Kaffeeholen und Manni wählt wieder mal die Handynummer von Judith Krieger und muss sich wieder mal anhören, wie ihm eine monotone Frauenstimme erklärt, dass dieser Teilnehmer vorübergehend nicht erreichbar sei. Entnervt wirft er das Handy auf einen Aktenstapel und flucht wild, weil es in einer Pappschale mit Resten von kalten Pommes frites landet. Wenn die Krieger schon illegal herumschnüffelt, warum muss sie das ausgerechnet in einem Funkloch tun? Er wischt das Fett von seinem Handy und verbietet sich, darüber nachzudenken, was passieren wird, wenn Millstätt von dem Deal erfährt, zu dem Manni sich von der einstigen KK II-Star-Ermittlerin hat überreden lassen. Wenn Millstätt will, kann er einen mit wenigen Worten und Blicken vernichten, einen Vorgeschmack darauf hat Manni bereits bekommen. Und erstmals beginnt er zu ahnen, wie taff die Krieger mal gewesen sein muss, dass Millstätt trotz seines Perfektionswahns beinahe zwei Jahre lang schützend die Hand über sie gehalten hat, obwohl sie nicht mehr richtig bei der Sache war.
Für Manni hegt der KK II-Leiter offenbar weniger Sympathien. Oder Juliane Wengerts Anwalt, dieser aufgeblasene Schaumschläger, hat ihm mehr zugesetzt, als Millstätt zugeben will. Keine Stunde nachdem Manni Juliane Wengert hysterisch tobend in der Obhut des Krankenhauspersonals zurückgelassen hatte, stand ihr Anwalt bei Millstätt auf der Matte, um sich über Mannis ungerechtfertigte und brutale Verhörmethode zu beschweren. Jetzt ist Millstätt mehr als stocksauer und verlangt endlich handfeste Ergebnisse, und zwar schnell. Was ja durchaus in Mannis Sinne ist, schließlich hat sein Chef Recht: Irgendwo rennt ein extrem brutaler Killer frei herum, und was wird passieren, wenn der sich durch ihr ganzes Gefische im Trüben in die Enge getrieben fühlt und erneut zuschlägt, bevor sie auch nur eine Ahnung haben, wer er ist? Die Konsequenzen sind nicht ausdenkbar, und nur weil die Journalistenfuzzis sich immer noch an den aus ihrer Sicht schleichenden Ermittlungen in Sachen Jennifer-Mord festgebissen haben, hat die Soko Erlengrund überhaupt noch eine Gnadenfrist. Aber lange wird es nicht mehr dauern, bis irgendwie durchsickert, dass die Kölner Kripo offenbar nicht nur einen Mädchenmörder gewähren lässt, sondern
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