Der Wald ist schweigen
auch unfähig ist, einen irren Killer im Bergischen Land zu fassen.
Manni nickt dem Anfänger zu, der einen Becher Kaffee vor ihm abstellt und schon wieder zum Telefonhörer greift, bevor sein dünner Hintern Holger Kühns Bürostuhl berührt. Ralf kann ja nichts dafür, dass sie nicht weiterkommen. Und immerhin können sie inzwischen mit Sicherheit sagen, dass es sich bei der Toten aus dem Schlammloch tatsächlich um die 22-jährige Maria Klein, genannt Darshan, handelt. Ihre Mutter, eine versoffene Schlampe, die in einer heruntergekommenen Stahlarbeiterwohnung in Duisburg-Rheinhausen lebt, hat das am Mittag bestätigt – viel mehr aber auch nicht. Offenbar hat sie seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrer einzigen Tochter gehabt, was Manni aus Sicht der Tochter durchaus verstehen kann. Die Mischung aus süßlichem Parfum, ungewaschener Kleidung, ranzigem Fett und Alkohol, die in der Wohnung hing, war kaum zu ertragen und das hilflose Gejammer der Bewohnerin ebenfalls. Ohne Punkt und Komma hat sie vor sich hin gebrabbelt. Bereits mit 16 sei ihre Maria auf die schiefe Bahn geraten, habe die Schule abgebrochen, auf der Straße gelebt, war einfach nicht zu bändigen, völlig außer Kontrolle. Ihre Schuld war das nicht! Was sollte sie, die Mutter, denn tun, wo der Mann doch auch über alle Berge war? Und dann dieser furchtbare Name: Darshan. Als ob sie eine verdammte Ausländerin sei. Wusste die Mutter, dass ihre Tochter auf dem Weg nach Indien war, hatte Manni gefragt. Da war mal ein Anruf aus Übersee, wann genau, das wusste sie nicht mehr, nur dass es Nacht war und warm. Sie hatten die wehklagende Frau in der Obhut einer türkischen Nachbarin gelassen, nachdem sie ihr die Adressen von Zahnarzt, Hausarzt und Darshans Vater – Erzeuger, hat Frau Klein verächtlich hervorgestoßen – entlockt hatten. Der Vater war dann überraschenderweise vom Tod seiner Tochter sichtlich erschüttert, obwohl er sie und seine Frau seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen hat.
Der Anfänger hebt die Hand, um Mannis Aufmerksamkeit zu erlangen, und beginnt im nächsten Moment, Englisch zu sprechen. Es ist ein Segen, dass er das ziemlich perfekt beherrscht. Bevor er sich für eine Karriere bei der Polizei entschied, hat er ein paar Semester Anglistik studiert und sogar eine Weile in London gelebt. Seine guten Englischkenntnisse waren ihm auch bei seinen Recherchen in Kenia sehr nützlich. Ja, er zahle Unterhalt an eine Afrikanerin, die behaupte, von ihm ein Kind bekommen zu haben, hat Diana Westermanns Ex-Chef Robert Walter bereitwillig ausgesagt. Aus Großzügigkeit. Von einer Erpressung durch Diana Westermann wollte er jedoch partout nichts wissen und in Deutschland sei er seit Weihnachten nicht mehr gewesen. Eine Aussage, die diverse Mitarbeiter wie auch die Kenianische Botschaft, die für Einreiseformalitäten zuständig ist, bestätigt haben. Wenigstens können sie also die ohnehin völlig abwegige Idee, dass eigentlich die Försterin das Mordopfer hätte sein sollen, ad acta legen.
Frauen und ihre allzu lebhafte Phantasie, denkt Manni, während er sich über den Schreibtisch lehnt und auf die Lautsprechertaste von Holger Kühns Telefon drückt, damit er hören kann, was irgendein indischer Guru am anderen Ende der Welt auf die Fragen antwortet, die der Anfänger in seinem gestochenen Oxford-Englisch vorträgt. Tagelang haben sie in dem Aschram niemanden erreicht, der Englisch spricht, nun haben sie endlich Glück. Am achten Mai habe Darshan in Mumbay landen sollen, sagt der Inder. Man habe sie abholen wollen, aber sie sei nicht gekommen. Der Mann kann ihnen sogar die Flugnummer nennen und erklärt, dass ein Mitarbeiter mehrfach versucht hätte, Darshans Verbleib in Deutschland herauszufinden, unter anderem durch Anrufe bei ihrer Mutter und im Sonnenhof.
»Woher hatten Sie die Nummern?«, will der Anfänger wissen.
Von Darshan natürlich, erwidert der Inder verwundert. Offenbar hatte es vor Darshans Entschluss, in den Aschram zu reisen, eine rege E-Mail-Korrespondenz gegeben.
»Wir prüfen sehr genau, wen wir einladen, mit uns zu leben.« Außerdem habe Darshan vorab 2000 Euro für ihren Aufenthalt bezahlt, natürlich habe man also nachgeforscht, als sie einfach nicht gekommen sei. Mit wem er im Sonnenhof gesprochen habe, fragt der Anfänger. Ein Mann sei es gewesen – doch an einen Namen könne sich sein Mitarbeiter leider nicht erinnern. Wäre ja auch zu schön gewesen. Der Anfänger beendet das Telefongespräch und
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