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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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klingt. Vedanja rückt noch ein Stückchen näher, legt den Arm um sie, versucht, sie zu sich zu drehen, zu sich zu ziehen, und Laura hat auf einmal keine Kraft mehr, ihm etwas entgegenzusetzen, ja nicht einmal die Kraft zu schreien. Soll er mit ihr machen, was er will, es ist sowieso alles kaputt. Das Gesicht ihrer Mutter taucht vor ihr auf, der unterwürfige Blick, mit dem sie um Lauras Verständnis gebettelt hat. Verständnis dafür, dass sie Lauras Vater betrogen hat, die erstgeborene Tochter abgeschoben, Lauras Familie einfach ausgelöscht hat, um eine neue zu gründen.
    Laura fühlt Tränen auf ihren Wangen, eine Hand in ihrem Haar, Finger, die den Tränenspuren folgen. Ihre Finger, seine Finger – sie vermag es nicht zu sagen, und einen Moment lang wäscht noch einmal Panik durch ihren Körper, der Gedanke an Flucht. Aber ihr Körper ist zu schwer und eigentlich ist es auch egal, was mit ihr passiert.
    »Laura, Kleine, du bist ja ganz kalt«, flüstert eine körperlose Stimme. Dann plötzlich gleißt helles Licht durch den Bus, ein Schwall kalte Luft dringt herein und eine Männerstimme sagt: »Vedanja, verflucht, was ist hier los, was ist mit ihr?« Und dann hebt jemand sie hoch und trägt sie durch die Nacht.
    Später träumt sie, dass etwas Heißes auf ihr Gesicht tropft. Mühsam öffnet Laura die Augen, sieht weiches Kerzenlicht, ihr vertrautes Zimmer und Jeys Gesicht über ihr. Weint er? Um sie? Es ist unendlich schwer, die Lippen zu bewegen, erst im dritten Versuch gelingt es ihr, sie flüstert seinen Namen. Augenblicklich zieht er sie fest in seine Arme, presst sein Gesicht in ihre Haare.
    »Laura, meine Göttliche, ich hatte solche Angst.«
    »Warum?« Das Wort brennt in ihrer Kehle wie Feuer. Lange antwortet er nicht und sie fühlt, wie die Erschöpfung sie wieder zurück in die Bewusstlosigkeit zieht.
    »Ich hatte Angst, dass du uns verraten hast«, flüstert er, als sie schon beinahe eingeschlafen ist. Und es ist etwas in seiner Stimme, das Laura mit einer eiskalten Panik erfüllt.

Mittwoch, 12. November
    Mit fast einer Stunde Verspätung schiebt sich Manni kurz nach Mitternacht durch die Tür vom »Supergrill Rosi’s«. Hungrig mustert er die erkalteten Reste auf Judiths Teller.
    »Ist die Küche noch auf?«
    »Ja, bis zwei Uhr morgens, wegen der Fernfahrer. Die Autobahn ist nicht weit und Rosi’s ist wohl so eine Art Geheimtipp. Sagt Rosi.« Judith registriert mit Befriedigung, wie ruhig ihre Stimme klingt. Wie cool. Die Warterei auf Manni hat sie mürbe gemacht. Wenn er sie hängen lässt – wo steht sie dann? Aber sie wird einen Teufel tun, ihm ihre Ängste zu zeigen, er hat sie schon genug in der Hand.
    Die Wirtin macht Anstalten, eine Speisekarte zu bringen, aber Manni winkt ab. »Für mich eine Currywurst mit Fritten. Und eine große Cola.«
    Einen Moment lang sind beide verlegen. Schlafmangel und die pausenlose Anspannung, die jede heiße Phase in einer Ermittlung mit sich bringt, verstärken die Tatsache, dass sie kein eingespieltes Team sind. Judith bringt eine Art Grinsen zu Stande. »Currywurst hatte ich auch. Nach einem biodynamischen Tag im Aschram war das der Himmel.«
    Manni knotet seine langen Beine um den Barhocker, ohne eine Miene zu verziehen. »Und? Was hat er gebracht, dein Tag im Aschram?«
    Ja, das kann man sich wirklich fragen, denn was von dem, was sie zufällig gehört hat, kann sie schon beweisen? Mannis rechtes Knie wippt in einem Rhythmus, den nur er hören kann. Er sieht Judith an. »Also nix Genaues weißt du nicht.«
    »Ich brauche noch Zeit.« Sie trinkt einen Schluck alkoholfreies Kölsch, das schal schmeckt, und beschließt, noch ein Weilchen zu warten, bis sie eine Zigarette anzündet. Das immerhin fällt ihr wesentlich leichter als noch vor zwei Tagen, offenbar trägt das unfreiwillige Training in Sachen Abstinenz, das sie im Sonnenhof absolviert, erste Früchte.
    Rosi stellt einen dampfenden Teller vor Manni auf den Tisch. Die Kohlehydrate scheinen ihn friedlich zu stimmen, denn während er sein Essen herunterschlingt, referiert er bereitwillig den Stand seiner Ermittlungen. »Nachbarn, Kollegen, Schüler, Freunde – niemand in Andreas Wengerts Umfeld will etwas von einer Darshan wissen«, endet er und rammt seine Gabel in das letzte Stück Currywurst. »Null, nada, absolut nichts.«
    »Und was sagt seine Frau?«
    »Juliane Wengert ist raus. Millstätts Anordnung.« Manni wischt mit den letzten Pommes frites konzentriert eine Ketchuppfütze vom Teller und

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