Der Wald ist schweigen
Mantras, Tarot-Orakel und ein skurriler Kosmos voller indischer Heiliger und Buddhas nichts ändern.
»Beate ist nun einmal so, du kennst sie doch. Die Übermama. Immer fühlt sie sich für alles verantwortlich. Vielleicht hat sie ja Darshan gegenüber ein schlechtes Gewissen«, sagt der Schreiner.
»Ein schlechtes Gewissen? Weil Darshan ihren Mann verführt hat?«
»Wer sagt, dass sie ihn verführt hat?«
»Niemand. Ich hatte einfach den Eindruck, dass da was lief. Weil Beate doch nie gut auf Darshan zu sprechen war und sonst ist sie doch immer total freundlich mit allen. Und dann hat sie so furchtbar abgenommen. Na ja, wie auch immer. Ich muss jetzt für Vedanja das Büro abschließen, weil er mit Laura zur Polizei gefahren ist.«
»Weißt du, wann sie zurückkommen?«
»Keine Ahnung. Schlaf gut, Ben.«
»Ja, du auch, Petra.«
Petra also, das picklige Mädchen vom Empfang. Ein leises Knirschen auf dem Kiesweg signalisiert, dass sie ihr Vorhaben unverzüglich in die Tat umsetzt und zurück zum Haupthaus läuft. Erst als in der gut 50 Meter entfernten Werkstatt das Licht angeht und die Gestalt des Schreiners im Inneren verschwindet, klettert Judith zurück in ihr Zimmer. Heiner von Stetten hatte also vielleicht etwas mit Darshan, seine verhärmte Frau wusste das und tut trotzdem so, als trauere sie um eine geliebte Tochter. Und Vedanja verschweigt, dass er mit Darshan befreundet war. Judith kann ihre nächste Therapiesitzung beim Leiter des Aschrams kaum erwarten.
*** Sie haben entschieden, Laura Nungesser in der Polizeiwache von Hans Edling zu vernehmen. Christoph Brandes, dieser rothaarige Kasper, den sie im Sonnenhof Vedanja nennen und als pädagogischen Leiter bezeichnen, hat das Mädchen in einem violetten VW-Bus hergebracht und wartet jetzt wie ein treuer Wachhund im Nebenzimmer. Die Mutter, Hannah Nungesser, ist eine aparte Brünette, der man ihre 41 Jahre nicht ansieht, was wohl zum Teil daran liegen mag, dass sie ganz offensichtlich schwanger ist.
»Ende fünfter Monat«, hat sie am Flughafen verlegen gemurmelt, als sie Mannis Blick bemerkte, »das lässt sich nun nicht mehr verbergen. Hören Sie, meine Tochter weiß noch nichts von meinem – Zustand. Dürfte ich wohl vorab allein mit ihr sprechen? Bitte?«
Zehn Minuten haben sie ihr für die Offenbarung der frohen Botschaft gewährt, sie sind ja keine Unmenschen. Nun sitzen ihnen die beiden Frauen in dem altmodisch möblierten Polizeigebäude gegenüber, unverkennbar Mutter und Tochter – und doch meilenweit voneinander entfernt, was Kleidung und Körpersprache angeht. Beinahe flehend sieht Hannah ihre Tochter an. Doch die hat sich völlig in sich verkrochen, was ihre vor der Brust verschränkten Arme überdeutlich demonstrieren. Nun denn. Hans Edling hat jetzt offenbar das richtige Programm in seinem Computer gefunden, um die Vernehmung zu protokollieren, er nickt Manni zu.
»Kann ich rauchen?« Der kurze Seitenblick, den Laura ihrer Mutter zuwirft, ist provozierend und feindselig, doch die reagiert nur mit einem hilflosen Lächeln.
Der Anfänger schiebt einen Aschenbecher zu dem Mädchen herüber. Trotzig schüttelt Laura ihre offensichtlich ungekämmten Haare in den Nacken, dreht eine hauchdünne Zigarette und inhaliert tief. Manni nimmt eine der E-Mails, die er in der Nacht mit der Krieger in ihrer Küche gelesen hat. Es kommt ihm so vor, als sei dies viel länger her als 17 Stunden, und einen Moment lang kann er sich nicht mehr erinnern, ob und wann er danach überhaupt geschlafen hat. Aber darauf kommt es jetzt nicht an. Er reißt sich zusammen und liest vor: » 13. August. Liebster Andi, ich weiß, dass ich dich nicht drängen darf, dass ich Geduld haben muss. Aber du fehlst mir so … « Er sieht, wie sich die Augen des Mädchens erschrocken weiten, wie ihre Mutter noch ein bisschen schuldbewusster in sich zusammensinkt, beschließt aber, die beiden jetzt und hier richtig weich zu kochen und nimmt den nächsten Ausdruck zur Hand. »Dein Bitten wurde offenbar erhört, Laura.« Wieder liest er vor: »3. September. Seit du bei mir warst, schwebe ich auf einer rosa Wolke. Oh bitte, bitte, bitte komm bald wieder … « Er wirft den Ausdruck auf den Tisch. »Und so geht es weiter, bis du ihm schließlich am 5. Oktober geschrieben hast: Liebster Andi, es ist etwas passiert und ich muss dich dringend sehen. Bitte komm am Samstagabend um neun zu unserer gewohnten Stelle, alles andere erkläre ich dir dann. Laura. «
»Das hab ich nicht
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