dass ich meine Tochter liebe und niemals fortgeschickt hätte, wenn ich mir auf irgendeine andere Art zu helfen gewusst hätte. Aber sie musste fort aus dem Einflussbereich dieses Wengert …«
»Was ja nicht geklappt hat.«
Hannah Nungesser seufzt. »Nein. Ich hätte das natürlich wissen müssen, sie nicht unterschätzen dürfen. Sie ist verdammt stur und zielstrebig, wie ihr Vater.«
»Ein junges Mädchen, ganz offensichtlich auf der Suche nach einem Vater also. Hatten Sie keine Angst, dass Laura, weit fort von Ihnen, in diesem Aschram vom Regen in die Traufe kommt?«
Hannah Nungessers Augen weiten sich. »Was wollen Sie damit sagen? Glauben Sie etwa, dass die dort meine Tochter ausnutzen? Das glaube ich einfach nicht. Der Sonnenhof ist keine Sekte, das weiß ich, die sind anständig dort. Ein bisschen New Age, aber okay. Außerdem hat Christoph, der Bruder meiner besten Freundin, dort ein Auge auf Laura. Wir telefonieren regelmäßig miteinander.«
»Christoph Brandes? Vedanja?«
Hanna Nungesser nickt.
»Sind Sie sicher, dass Sie ihm vertrauen können?«
»Sie meinen, dass er Laura verführen würde? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Andrea, meine Freundin, sagt …«
»Und wenn doch?«, sagt Judith leise. Hasst sich dafür und weiß doch, dass sie keine andere Möglichkeit hat.
Hilflos schüttelt Hannah Nungesser den Kopf. »Warum fragen Sie das? Ist etwas passiert?«
»Gestern haben meine Kollegen mit Ihrer Tochter gesprochen, aber ich glaube nicht, dass sie alles gesagt hat, was sie weiß. Ich glaube, dass Ihre Tochter etwas verschweigt und dass das, was sie verschweigt, der Schlüssel zur Lösung eines Doppelmordes ist.«
Alarmiert setzt Hannah Nungesser die Füße auf den Boden und lehnt sich vor. »Ist sie in Gefahr?«
»Soweit ich das beurteilen kann, nein.« Auch Judith lehnt sich ein Stück vor, bemüht, Hannah Nungessers Aufmerksamkeit nicht zu verlieren.
»Darshan Maria Klein. Eine junge Frau. Sagt Ihnen dieser Name etwas? Hat Laura ihn mal erwähnt?«
»Nein.«
»Und doch gibt es eine Gemeinsamkeit. Beide Mädchen lebten beziehungsweise leben noch im Sonnenhof. Und beide hatten den Vater verloren. Wer könnte ein Ersatzvater für Laura sein, von Andreas Wengert einmal abgesehen? Vedanja? Heiner von Stetten? Hat Ihre Tochter einmal etwas in der Richtung erwähnt?«
»Ich weiß es nicht.« Hannah Nungessers Stimme klingt gequält. »Ich weiß es wirklich nicht. Laura weigert sich, mit mir zu sprechen, seit sie im Sonnenhof lebt. Fragen Sie Christoph, Vedanja. Alles, was ich in den letzten Monaten über meine Tochter erfahren habe, weiß ich von ihm.«
***
Christoph Brandes also ist ihr Mann. Ohne das übliche Gemurre und Gezaudere, ja geradezu diensteifrig, hat sich Staco-Steff gleich als erste Tat des Tages der Herkunft der beiden Laura-E-Mails gewidmet. Und das Ergebnis ist eindeutig: Hinter
[email protected] verbirgt sich die Adresse
[email protected], registriert von Christoph Vedanja Brandes. Während Manni an der Abzweigung zum Sonnenhof auf Hans Edling wartet, tupft er gedankenverloren Clearasil auf zwei fette Pickel, die über Nacht auf Stirn und Kinn erblüht sind. Pickel sind eine Art Berufskrankheit, die Folge von zu wenig Schlaf, zu viel Herumgesitze in verqualmten Räumen und zu viel Fastfood. Als Teenager hat Manni geglaubt, dass diese Pest jenseits der 20 erledigt sei, inzwischen weiß er, dass sich die Probleme eines Mannes nur vervielfältigen. Mehrere seiner Rheindorfer Kumpels sind noch keine 30 und haben nicht nur immer noch Pickel, sondern dazu noch rapide dünner werdendes Haar. Die Mär, dass viel Haarausfall auch viel Potenz bedeutet, tröstet sie nur sehr bedingt.
Das Funkgerät knistert und der Pickel über Mannis Augenbraue beginnt hektisch zu pochen. Millstätt. Der KK II-Leiter ist bestens gelaunt, weil die anderen beim Jennifer-Mord endlich Land sehen, trotzdem macht er Mannis Hoffnung auf einen Durchsuchungsbeschluss für den Sonnenhof zunichte. Vernehmungen verlangt er stattdessen, endlich ein Motiv, das einen plausiblen Zusammenhang zwischen beiden Opfern herstellt. E-Mail hin oder her, da gibt es nichts zu diskutieren, das muss Manni verstehen. Erst die fälschliche Verhaftung Juliane Wengerts, dann die sinnlose Filzerei im Forsthaus – der Staatsanwalt ist eben zögerlich geworden, man muss an die Presse denken, und akute Verdunklungsgefahr besteht ja wohl auch nicht. Schließlich hat der Täter alle Zeit der Welt gehabt, Beweise