Der Wald ist schweigen
mittendrin Darshan mit den blonden Zöpfen, in ihrem violetten Samtkleid und den schwarzen Doc Martens Schnürstiefeln. Ja, so muss es gewesen sein. Die Welle bricht und rollt weg. Er schaut der Försterin direkt in die Augen und lächelt.
»Es kann aber auch jemand anderem gehören.«
»Aber ihr Name steht doch darauf.«
»Darshan ist eine indische Heilige. Viele Yogis nehmen ihren Namen an, quasi als Künstlername. Vielleicht will der Besitzer des Handys einfach nur seiner Verehrung von Darshan Ausdruck verleihen.«
»Vielleicht hat jemand diese Darshan mal telefonieren gesehen?«
Vedanja schüttelt den Kopf. »Die Benutzung von Handys ist im Sonnenhof verboten, außerdem gibt es hier ja gar keinen Empfang. Vielleicht gehört das Handy auch einem Gast, der den Verlust noch nicht bemerkt hat.« Er deutet zum Haupthaus. »Ich frage rum. Und wenn Darshan sich meldet, frage ich auch sie.«
Die Försterin sieht aus, als ob sie ihm das Handy am liebsten wieder wegnehmen wolle.
»Ich muss dann. Vielen Dank, dass du gekommen bist. Und wenn du mal eine Yogastunde brauchst – jederzeit.«
Er hat die Terrasse schon beinahe überquert, als sich die Welle erneut hinter ihm auftürmt.
»Grüßen Sie diese Darshan, wenn sie sich meldet«, ruft die Försterin.
Freitag, 31. Oktober
Die Nacht gehört den Bildern. Wieder reitet Judith Krieger auf dem weißen Pferd. Wieder bringt es sie in das Tal, dann in den engen, dunkelbraunen Raum. Wieder weiß sie, dass Patrick sie gerufen hat, dass sie ihn erreichen muss, retten muss. Irgendwo ist er, ihr Kollege, ihr Freund. Sie kann ihn fühlen. Aber sie kann sich nicht bewegen, kann nicht sprechen, nur seinen Namen flüstern. So viel Hoffnung in ihrer Stimme. So viel Sehnsucht. Wieder entdeckt sie das Handy auf der Fensterbank, wieder robbt sie unendlich langsam darauf zu, wieder katapultieren ihre Finger diese letzte Rettung hinaus in die Bodenlosigkeit.
Ihr Schrei weckt sie auf und sie liegt mit rasendem Herzschlag unter dem Federbett, das viel zu warm und schwer ist. Es ist stickig in ihrem Schlafzimmer, die Digitalziffern ihres Weckers zeigen 4.14 Uhr. Nackt stolpert sie ins Badezimmer und stellt sich unter die Dusche. Steht an die Fliesen gelehnt und lässt das Wasser über sich spülen, bis ihr kalt wird, hüllt sich dann in ihren Bademantel und geht ins Wohnzimmer. Sitzt auf der Fensterbank und raucht. Auf einmal sehnt sie sich nach Martin. Sie haben nicht mehr miteinander gesprochen, seit ihrem Streit am Wochenende, nach dem er mitten in der Nacht gegangen ist. Morgen rufe ich ihn an, denkt Judith. Morgen oder spätestens am Sonntag. Bestimmt ist sein Ärger bis dahin verflogen. Es war doch gut mit uns, im letzten Jahr. Er muss doch einsehen, dass ich jetzt noch kein Kind will. Dass wir kein Kind brauchen, um glücklich zu sein. Und auch keine Ehe.
Er weiß doch, wie unberechenbar mein Job ist. Bestimmt haben wir noch eine Chance.
Es ist zu spät, um wieder ins Bett zu gehen. Sie schließt die Augen und sieht den Erlengrund vor sich. Die Lösung des Falls ist dort. Irgendetwas Wichtiges hat sie übersehen, sie ist sicher, dass es so ist.
Als sie um sieben Uhr das Polizeipräsidium betritt, fühlt sie sich bereits so erschöpft, als läge der Tag hinter ihr. Manni hingegen sieht unerträglich ausgeschlafen aus. Axel Millstätts Schokoladenaugen fixieren sie.
»Keine Erfolge?«
Judith schüttelt den Kopf.
»Die Försterin ist raus«, sagt Manni im selben Moment. »Die Ks haben sich mal wieder selbst übertroffen und aus dem Matsch auf der Lichtung tatsächlich die Reste einer Patronenhülse gepult, ziemlich aufgeweicht zwar, aber exakt dort, von wo der Täter geschossen haben muss.«
Warum erfährt sie das erst jetzt? Judith hofft inständig, dass Millstätt ihr ihre Überraschung nicht anmerkt.
»Kaliber 16/70, Marke Rottweil Jagd«, sagt Manni zufrieden. »Der Hersteller hat bestätigt, dass die Bleikügelchen bei diesem Typ einen Durchmesser von 3,5 Millimetern haben, das passt also. Genaueres lässt sich bei Schrot einfach nicht sagen. Aber die Simson-Doppelflinte der Försterin hat definitiv Kaliber zwölf. Die Hülse kann also nicht von ihr stammen.«
»Prima, Manni, und sonst?«
»Ich habe nachher ein Date mit einem Marc Weißgerber aus Unterbach. Ein 16-Jähriger. Seine Mutter sagt, dass er vielleicht was gesehen haben könnte, was uns weiterhilft. Ansonsten haben Hans Edling und ich alle Haushalte in Unter- und Oberbach abgeklappert. Der Tote stammt
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