Der Wald ist schweigen
Dankbarkeit. Es war schließlich nicht leicht, Heiner und Beate davon zu überzeugen, dass Laura entgegen aller Regeln ihren Job wechseln darf. Warum ist das eigentlich jedes Mal so eine große Affäre, überlegt er nicht zum ersten Mal. Und viel interessanter: Warum fügen wir uns alle und bleiben tagein, tagaus bei der Tätigkeit, die uns Heiner und Beate irgendwann einmal zugeteilt haben? Der Mensch neigt zur Trägheit, denkt Vedanja resigniert. Er lechzt nach Ritualen und Überschaubarkeiten, selbst wenn er in einer Aussteigerkommune haust. Die meisten Menschen taugen nicht zur Rebellion. Ein Bild blitzt in seinem Kopf auf. Hellblonde Gretchenzöpfe und dieses herzhafte Lachen, das sich über jede unsinnige Norm erhob. Unmerklich schüttelt er sich. An sie will er jetzt auf keinen Fall denken.
»Ich muss jetzt wirklich gehen, wir ernten heute Kartoffeln.« Laura unterbricht seine Gedanken, indem sie aufsteht.
»Ich hab dich neulich mittags aus dem Schafstall kommen sehen, du sahst richtig glücklich aus.«
Ein letzter Versuch, sie aufzuhalten. Vergebens. Laura hastet zur Tür, als ob das Büro in Flammen stünde. Vedanja bleibt zurück, mit einem schalen Geschmack auf der Zunge. Enttäuschung ist das vielleicht. Er versteht nicht, was jetzt schon wieder schief gegangen ist.
***
Die Scheune von Bauer Bielstein liegt einsam neben einem Feldweg in einer Talsenke, umgeben von Koppeln, die verwahrlost aussehen. Kalter Ostwind drückt ihnen Nieselregen in die Gesichter, als sie aus dem Vectra klettern, den Manni im Polizei-Fuhrpark ergattert hat. Stur wie einer seiner Ochsen sei der alte Bielstein, sagt Petra Weißgerber. Habe seit seinem Schlaganfall nur noch ein paar Stück Vieh, direkt an seinem Haus in Unterbach, weigere sich aber, sein Land zu verpachten.
»Ich glaube, das würde für ihn bedeuten, dass er die Hoffnung aufgibt, je wieder richtig laufen zu können«, sagt sie leise, »der arme Mann.«
»Ein ideales Versteck also«, erwidert Manni und wirft Marc, der sich noch etwas tiefer in seine Jeansjacke duckt, einen Blick zu. »Na, dann schau’n wir mal.«
Judith fühlt sich einmal mehr, als befinde sie sich unter einer Glasglocke. Ist das die Scheune aus meinem Traum?, fragt sie sich. Hat Manni tatsächlich den Schlüssel zur Lösung dieses Falls gefunden? Aber wenn es so ist, kann sie es nicht fühlen. Der falsche Ort, sagt ihr Instinkt, aber das hier ist Mannis Show, und welche Ergebnisse kann sie schon vorweisen, ihm zu widersprechen? Manni und sie haben seitdem sie das Präsidium in Köln verlassen haben kaum miteinander gesprochen. Es scheint ihm zu gefallen, dass sie ihm die Gesprächsführung und Initiative überlässt und bis jetzt macht er seine Sache tadellos.
Der Weg zum Scheunentor ist geschottert. Nicht gut, denkt Judith. Wer will da noch Spuren finden? Manni streift Handschuhe über.
»Bitte nichts berühren«, sagt er zu den Weißgerbers.
Das Scheunentor ist nur mit einem hölzernen Riegel gesichert. Die Fenster sind blind vom Dreck. Drinnen liegen ein paar graue Strohballen, Seile, Drähte, Benzinkanister, schmutzige Lappen und leere Bierdosen. Zigarettenkippen auf dem Boden. Das Motorrad steht hinter einem rostigen Tankanhänger. Jemand hat eine Plane darüber geworfen.
»Warst du das?« Manni dreht sich zu Marc um. »Hast du die Plane über das Motorrad geworfen?«
»Olli.«
»Olli. Ein Kumpel von dir, nehme ich an?«
Marc nickt. Er hat riesige Füße, denkt Judith. Bestimmt Schuhgröße 46. Der Boden ist staubig, man sieht ein Gewirr von Fuß- und Reifenspuren darauf. Offenbar ist das Motorrad öfter hin und her geschoben worden.
»Wer war denn noch hier, außer dir und Olli?« Manni schafft es, seine Stimme vollkommen neutral klingen zu lassen.
»Kevin. Steffen. Toby. Boris einmal.«
»Ist das hier so eine Art Treffpunkt von euch?«
»Hm, nö, eigentlich nicht.«
»Und das hier?« Judith deutet auf die Bierdosen. »Sind die nicht von euch?«
Überrascht sieht der Junge sie an. Wahrscheinlich hat er geglaubt, sie sei nur so eine Art Assistentin. Manni wirft ihr einen verärgerten Blick zu. Okay, okay, denkt sie. Du hast ja Recht. Du bist dran.
»Also?« Manni wendet sich wieder an Marc.
»In letzter Zeit warn wir hier, wegen dem Motorrad.«
Zufällig hätten sie das Motorrad entdeckt, erzählt er widerstrebend. Am 18. Oktober, einem Samstag. Sie waren mit den Mountainbikes unterwegs und wollten sich unterstellen, weil es so schüttete. »Das Schloss hatte schon
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