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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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Miss Marmor sehr genau weiß, wo sich ihr Mann befindet und in welchem Zustand, weil sie ihn nämlich selbst um die Ecke gebracht hat. Aber wenn sie meint, wir müssen noch ein bisschen spielen, dann spielen wir eben.
    »Setzen Sie sich und trinken Sie noch einen Tee.« Es gefällt ihm, dass in seiner Stimme eine natürliche Autorität mitschwingt. Er sieht kurz zur Krieger herüber, die sich soeben wieder auf das weiße Nobelsofa sinken lässt. Die himbeerfarbenen Flecken auf ihren Wangen verblassen nur langsam und sie weicht seinem Blick aus. Endlich ist sie mal an ihre Grenzen gekommen und kann ihre Fehler nicht mehr kaschieren.
    »Also Frau Wengert, Sie haben in den letzten zwei Wochen keinerlei Lebenszeichen von Ihrem Mann erhalten und wir können definitiv ausschließen, dass er in dieser Zeit mit seinem Motorrad unterwegs war«, nimmt er seine Befragung wieder auf.
    »Ja, aber warum sollte er seine BMW in einer Scheune in – wie heißt dieser Ort noch gleich?«
    »Unterbach.«
    »Ja, also in Unterbach parken?«
    »Das wollen wir von Ihnen wissen.«
    »Ich weiß es wirklich nicht. Sind Sie sicher, dass es das Motorrad meines Mannes ist, von dem Sie sprechen?«
    Jede normale Frau würde sich nicht nach dem Motorrad, sondern nach seinem Besitzer erkundigen, denkt Manni. Er hat auf einmal das Gefühl, dass sie Juliane Wengert schon seit Stunden verhören. Wieder und wieder lässt sie sie an ihrer höflich beherrschten Fassade abprallen. Sie ist wie eine Fata Morgana, denkt er böse, Kilometer um Kilometer kann man sie nicht packen, aber irgendwann kommt man doch zur Quelle. Leidenschaftslos betet er das KFZ-Kennzeichen herunter und reicht Miss Marmor zum Beweis ein Foto über die Lilien, deren süßlicher Geruch sich immer penetranter über sie zu legen scheint.
    »Frau Wengert, haben Sie ein aktuelles Foto von Ihrem Mann?« Es ist die Krieger, die das fragt, offenbar hat sie auch genug von der Scharade. Überrascht zieht Juliane Wengert die Augenbrauen hoch, steht aber auf und holt ein in Edelstahl gerahmtes Foto aus einem Vitrinenschrank. Sie mustert es einen Moment lang, bevor sie es der Krieger gibt. Ihre Hand zittert dabei, das ist nicht zu übersehen. Mit schnellen Schritten kehrt sie zurück zu ihrem Sessel, setzt sich und krallt sich wieder an dem nassen, zerknautschten Leinentuch fest.
    Kollegial hält die Krieger das Foto so, dass sie und Manni es gemeinsam betrachten können. Bingo, denkt Manni. Das ist unser Mann, no doubt. Das Foto ist besser als das von der Meldebehörde. Er fühlt, wie seine Kopfhaut prickelt. Ein sportlicher Typ – auch das passt perfekt. Blonde schulterlange Haare, schmale Hüften, braungebrannt, lässig stützt er die Ellbogen auf den Tank seiner BMW, die Andeutung eines spöttischen Grinsens im Mundwinkel und diesen gewissen Ausdruck von Lonesome-Cowboy in den Augen, auf den Frauen fliegen. Natürlich muss Müller noch ein paar Tests machen, irgendeine Haarsträhne von Andreas Wengert wird sich in dieser Villa ja wohl finden, auch Zahnarzt und Hausarzt wird es geben, die ihnen behilflich sein können, denn eine Identifikation durch Miss Marmor ist schlecht möglich, dazu ist der Leichnam zu entstellt. Obwohl es natürlich spannend wäre, ihre Reaktion zu sehen, wenn man sie mit den sterblichen Überresten ihres Mannes konfrontiert. Aber eins nach dem anderen, ermahnt er sich im Geiste. Er schaut die Krieger an, die ihm zunickt. Bingo, Bingo, Bingo, sie glaubt es also auch. Und damit wäre dann auch bewiesen, dass er Recht hatte mit seiner These, dass Opfer und Täter nicht aus dem Schnellbachtal stammen müssen, auch wenn dort der Tatort ist. Leute, die ein Verbrechen begehen wollen, gehen schließlich oft in den Wald, weil sie sich da unbeobachtet fühlen, das ist eine Binsenweisheit von der Polizeischule. Nun gilt es nur noch, den genauen Tathergang zu klären und Miss Marmor als Täterin zu überführen. Bestimmt gibt es Nachbarn, die dabei helfen können. Freunde der Familie. Kollegen. Er räuspert sich.
    »Frau Wengert, es sieht tatsächlich so aus, als ob Ihr Mann tot sei.«
    Jetzt bekommt die Marmorfassade ein paar feine Risse. Die Augen weiten sich, die Mundwinkel zucken.
    »Tot«, echot Juliane Wengert und zieht den roten Schal mechanisch enger um ihre Schultern.
    »Tot«, wiederholt Manni.
    »Aber das kann doch nicht sein, aber warum denn, wenn er doch gar nicht mit dem Motorrad unterwegs war …« Juliane Wengerts Stimme wird immer leiser und ihr Kopf bewegt sich

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