Der Wald ist schweigen
ich glaube nicht, dass sie das getan hat.«
»Du willst einfach nicht, dass sie es getan hat.«
Sie erreichen die Autobahnausfahrt Köln-Kalk und Manni drosselt endlich das Tempo. Vor ihnen ragt das Polizeipräsidium wie eine Festung aus dem Brachland, zu dem die Bagger die chemische Fabrik eingeebnet haben. Die Spitze der Funkantenne auf dem Flachdach des Präsidiums glimmt rot, ein wachsames Auge. Judiths Fuß fühlt sich beinahe taub an, so sehr hat sie auf der Beifahrerseite das Bodenblech malträtiert. Sie unterdrückt einen Seufzer.
»Das hat doch nichts mit wollen zu tun.«
»Ein Alibi für die Tatzeit scheint Frau Wengert jedenfalls nicht zu haben. Wer kann schon kontrollieren, ob sie an dem Wochenende wirklich in ihrer Villa gehockt und gearbeitet hat?« Manni grinst wie ein Kater, der den Sahnetopf gefunden hat. Dank seiner Hartnäckigkeit haben sie das Motorrad entdeckt, er ist derjenige, der die Vernehmung mit Juliane Wengert einigermaßen gerettet hat, es ist nur noch eine Frage von Stunden, bis Karl-Heinz Müller die Röntgenaufnahmen von Andreas Wengerts Zahnarzt mit denen des Toten verglichen haben wird. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht identisch sind, ist minimal.
»Lass uns einfach in alle Richtungen ermitteln, okay?« Sie stellen den Dienstwagen ab und verabschieden sich vor dem Parkhaus des Polizeipräsidiums. Judith ist froh, einer weiteren Diskussion fürs Erste entkommen zu können. Doch sobald die Rücklichter von Mannis GTI verschwunden sind, ist dieses nagende Gefühl wieder da. Das Gefühl, dass sie etwas übersehen hat. Irgendetwas Wichtiges hat sie am Tatort nicht beachtet, irgendeinen Fehler hat sie gemacht, sie ist sicher, dass es so ist.
***
Diana Westermann steht unter der Dusche, sie benutzt geradezu verschwenderisch viel Duschgel. Zweimal seift sie ihren Körper von oben bis unten ein, um den Geruch der Angst loszuwerden. Viel sorgfältiger als sonst hat sie die dichten dunkelblauen Vorhänge vor das Badezimmerfenster gezogen, bevor sie das Licht anschaltete und sich auszog. Die Doppelhahnflinte liegt auf dem Waschbecken, Talisman und Beruhigung zugleich. Sie zwingt sich, ihr Haar trockenzuföhnen und sich einzucremen, bemüht, die Ruhelosigkeit zu bekämpfen, die ihre Panik hinterlassen hat. Was soll sie tun? An Schlaf ist nicht zu denken. Sie könnte Ronja in den Garten lassen und dann draußen ums Haus gehen und alle Holzläden verschließen, zur Not kann sie die eingerosteten Scharniere mit Olivenöl gefügig machen. Sie konnte ein Feuer im Kamin machen. Eine Flasche Wein öffnen und endlich ihre Briefschulden begleichen. Sie könnte wieder Klavier spielen. Sie zieht saubere Jeans und ein T-Shirt an und schlägt versuchsweise ein paar Tasten an. Aber die Melodien, über die sie sich vorhin noch so gefreut hat, erscheinen ihr nun langweilig und stümperhaft, ihre Finger sind viel zu steif. Und eigentlich achtet sie sowieso nicht auf die Musik, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt ist, alle Sinne nach draußen zu konzentrieren.
Es hilft nichts, sie muss etwas tun. Angriff ist die beste Verteidigung, mit dieser Haltung hat sie in Afrika das Alleinleben gemeistert. Die Flinte in den Händen geht Diana zur Verandatür. Breitbeinig wie ein Bure steht sie auf den Holzstufen und späht in ihren Garten. Ronja drängt sich an ihr vorbei und springt in übermütigen Sätzen zum Zaun und wieder zurück. Weit und breit ist nichts von einem Feind zu sehen, trotzdem fühlt Diana sich unangenehm entblößt. Sie bezwingt den Impuls, zurück ins Haus zu flüchten. Dies hier ist ihr Grundstück, ihr Garten. Sie kann hier stehen, wann immer und wie lange sie will. Sie wird sich nicht von einer irrationalen Angst die Freiheit nehmen lassen.
»Ich mache mich lächerlich«, sagt Diana zu ihrer Hündin. »Lächerlich, hörst du. Wahrscheinlich bin ich einfach zu viel allein. Dein Frauchen wird gaga, bloß weil irgendjemand ein paar Mal hier angerufen hat. Komm schon, Ronja, tu etwas dagegen.«
Schwanzwedelnd kommt Ronja zu ihr gerannt. Unwillkürlich muss Diana lächeln. Sie kniet nieder und liebkost Ronjas Schlappohren. Aber die Leichtigkeit verfliegt ebenso schnell, wie sie gekommen ist. Alles in ihr schreit nach Flucht.
Diana hebt den Kopf und starrt zum Wald hinüber. Bewegt sich dort jemand? Dort drüben am Hang, dort in Richtung zur B 55, wo Ronja vorgestern Nacht verschwunden ist? Wo sie am nächsten Tag das Handy gefunden hat? Für den Bruchteil einer Sekunde ist
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