Der Wald ist schweigen
Schwerfällig robbte sie ans Ende des Sofas, langte über die Armlehne und presste den Hörer auf die Gabel. Ihre Blase meldete sich und mit einem Seufzer schob sie sich auf die Füße und schlurfte ins Bad. Auf dem Weg zurück zur Couch holte sie sich die Bettdecke aus dem Schlafzimmer. Sie trank die Weinflasche leer und kroch unter das Federbett. Es roch muffig, nach zu viel Einsamkeit und Schweiß und nach dem süßlichen Montana-Parfum, das Werner ihr mal zum Valentinstag geschenkt hatte, damals, als sie noch glücklich waren. Beim Einschlafen lobte sie sich für ihre Geistesgegenwart, den Telefonstecker aus der Wand gezogen zu haben. Der wird mich nicht mehr stören, dachte sie, und das gab ihr zum ersten Mal seit langem ein Gefühl von Macht.
Mittwoch, 5. November
Er hat es freundlich versucht. Hat geschrien. Er hat es mit Behauptungen versucht. Mit Argumenten. Mit Warten. Er hat alle Fakten heruntergeleiert, wieder und wieder, wie ein Muezzin, der zum Morgengebet ruft. Es hilft nichts. Juliane Wengert sitzt kerzengerade auf ihrem Stuhl, fixiert einen Punkt in der Luft, knapp neben Mannis linkem Ohrläppchen, und schweigt. Sogar ihr Anwalt, dieser Lackaffe mit den braunen Stirnfransen, sieht inzwischen etwas angestrengt aus.
»Ihr Mann hatte eine Geliebte. Mehrere Zeugen haben das bestätigt. Wollte er sich von Ihnen trennen?«
Schweigen.
»Er wollte sich von Ihnen trennen und da sind Sie ausgerastet, stimmt’s?«
Schweigen.
»War es so?«
Kopfschütteln.
»Wie war es dann?«
Schweigen.
»Sagen Sie endlich, mit wem Ihr Mann ein Verhältnis hatte.«
»Bitte, Juliane, wenn du etwas weißt, was der Polizei weiterhilft, musst du es sagen«, meldet sich Albrecht Tornow zu Wort. Juliane Wengert wendet den Kopf und mustert ihn wie ein lästiges Insekt.
»Wenn dir nichts Besseres einfällt, als mir in den Rücken zu fallen, werde ich dich feuern. Ich habe Andreas nicht umgebracht. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.«
Wut funkelt in Albrecht Tornows Augen, aber er beherrscht sich.
»Bitte, Juliane.« Ein Appell. Mit verkniffenen Lippen, aber immerhin.
Schweigen.
»Sie haben vorgestern versucht, sich ins Ausland abzusetzen.« Manni beschließt, seinen neuesten Trumpf auszuspielen. »Warum haben Sie das getan? Sie wussten doch, dass Sie sich zu unserer Verfügung halten müssen.«
»Sag es ihm, Albrecht.« Hartnäckig starrt Juliane Wengert ein weiteres Loch in die Luft.
»Wie ich schon wiederholt sagte, war meine Mandantin mit ihrem PKW auf dem Weg nach Brüssel, als Ihre Kollegen meinten, sie mitten auf der Landstraße verhaften zu müssen wie eine Schwerverbrecherin. Dabei wollte Frau Wengert in Brüssel lediglich ihren Beruf ausüben. Sie hatte den Auftrag, während einer EU-Konferenz zu dolmetschen. Darüber gibt es schriftliche Unterlagen.«
»Sie wollte arbeiten, obwohl ihr Hausarzt sie für absolut vernehmungsunfähig erklärt hat?«
»Wie gesagt, sie arbeitet für das Europäische Parlament, sie wollte diesen wichtigen Kunden nicht verlieren und hatte gehofft, durch ihre Arbeit auf andere Gedanken zu kommen. Per Mobiltelefon wäre sie doch jederzeit für Sie erreichbar gewesen.«
»Das bezweifele ich.«
»Weil Sie voreingenommen sind.«
»Weil wir gründlich ermitteln.« Jetzt ist es wichtig, vollkommen cool zu bleiben und Miss Marmor und ihren Anwalt ganz genau zu beobachten. Sehr bedächtig legt Manni ein Blatt Papier auf den Tisch und unterdrückt ein Grinsen. Erst vor zwei Stunden hat er dieses Fax bekommen. Weil er den richtigen Riecher hatte und mit tatkräftiger Unterstützung des Anfängers so lange nicht locker gelassen hat, bis alle Fluggesellschaften in Brüssel in ihren Computern überprüft hatten, ob er richtig liegt mit seinem Verdacht. Er schiebt die Buchungsbestätigung der Air Jamaica in die Mitte des Tischs.
»Auf Jamaika wäre es mit der Erreichbarkeit für die Polizei weniger gut bestellt gewesen, und das auf unbegrenzte Zeit. Dies ist ein Open-Return-Ticket. Abflug ab Brüssel am 7. November, ausgestellt auf Sie, Frau Wengert.«
Jetzt hat es diesem Albrecht Tornow die Sprache verschlagen. Fassungslos linst er unter seinen Ponyfransen hervor, bald auf die Buchungsbestätigung, bald auf Miss Marmor. Die wiederum wird auf einmal eine Spur rosig um die Nase. Ihre Blicke hetzen durch den Raum.
»Aber um Himmels willen, diese Buchung hatte ich ganz vergessen. Ich habe sie schon vor Wochen gemacht.«
Manni lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.
Weitere Kostenlose Bücher