Der Wald ist schweigen
Juliane Wengert ist eine verdammt schlechte Lügnerin. Wirklich eine nette Abwechslung, dass es nun einmal an ihm ist, zu schweigen und sie zappeln zu lassen.
»Ich wollte dort Urlaub machen.« Ihre Gesichtsfarbe wird noch eine Spur dunkler. »Das müssen Sie mir glauben.«
»Urlaub. Open Return!«
»Ja, warum denn nicht. Ich wusste einfach nicht, wie lange ich mir freinehmen konnte, als ich den Flug gebucht habe.«
»Sie haben am 13. Oktober gebucht. Da war Ihr Mann schon tot.«
»Sie hören mir nicht zu. Das wusste ich doch nicht. Ich habe meinen Mann nicht umgebracht. – Albrecht, tu doch was.«
Albrecht Tornow räuspert sich. »Ich beantrage eine Pause in dieser Vernehmung. Ich möchte mich mit meiner Mandantin besprechen. Außerdem ist es doch verständlich, dass Frau Wengert in den letzten Tagen mit anderen Dingen beschäftigt war, als daran zu denken, eine Urlaubsreise zu stornieren, die sie mit Sicherheit nicht mehr antreten wollte.«
Manni sieht ihn an. Tornow blufft gut, das muss man ihm lassen. Aber nicht gut genug. Er könnte schwören, dass der Anwalt Juliane Wengert genauso wenig glaubt wie er selbst. Sollen sie sich seinetwegen in die Haare kriegen – vielleicht sieht Miss Marmor dann endlich ein, dass sie von ihrem hohen Ross herabsteigen muss.
»Also gut, besprechen Sie sich ruhig mit Ihrer Mandantin. Und machen Sie ihr endlich klar, dass es an der Zeit ist, die Karten auf den Tisch zu legen.« Äußerst zufrieden mit sich und der Welt macht er sich auf den Weg in sein Büro.
Bevor Manni ins KK II versetzt worden ist, hat er geglaubt, das neu gebaute Kölner Polizeipräsidium sei modern und funktional und die Arbeit darin komfortabel. Seine Mutter guckt jeden Sonntag Tatort und ist noch heute dieser Ansicht und er bringt es nicht übers Herz, ihr diese Illusion zu nehmen. Und so sitzen sie immer sonntags, wenn Manni noch in Rheindorf ist und der Tatort in Köln spielt, gemeinsam vor dem Fernseher, weil seine Mutter überzeugt davon ist, dass ihr Sohn über ein ähnlich gläsern-effizientes Reich herrscht, wie die beiden Kommissare und ihre Assistentin mit den rattenscharfen Miniröcken und Dekolletees, die zu allem Überfluss auch noch im Handumdrehen jede Information aus dem Internet auf ihren schicken Flatscreen-Monitor zaubert. Ja, ja, die Technik, so macht Ihr das auch, nicht wahr, Manni, pflegt seine Mutter dann zu sagen, und wenn die Drehbuchautoren es nicht gar so doll getrieben haben, nickt er und lächelt sie an. Ja, so ähnlich, Mama. Er verzeiht sich diese Flunkereien großzügig, denn schließlich – viel gibt es im Leben seiner Mutter nicht, worüber sie sich freuen kann, seit sein Vater durch einen Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt ist und Frau und Sohn mehr als deutlich spüren lässt, wie sehr er leidet und wie sehr er es bereut, die besten Jahre seines Lebens als Fernfahrer auf der Straße zugebracht zu haben, um ein Eigenheim zu finanzieren, das er nun nicht mehr genießen kann.
Wunsch und Wirklichkeit liegen eben nicht unbedingt nah beieinander, denkt Manni, während er mit energischen Sportlerschritten über den nadelfilzgrauen Flur in sein Büro federt. Dass ihm im richtigen KK II keine langbeinige Assistentin mit prallen Titten zur Seite steht, das ist ja noch einigermaßen okay, Dienst ist schließlich Dienst. Dass es aber immer noch nicht möglich ist, vom eigenen PC auf dem Schreibtisch ins Internet zu gehen, das ist ein Skandal, auf den der eine oder andere Kollege schon mal die örtliche Presse ansetzen möchte. Nur weil das Image der Polizei dadurch nachhaltig lächerlich gemacht würde, halten sie letztendlich doch dicht, und so muss sich die Kölner Mordkommission auch im 21. Jahrhundert mit all ihren Anfragen an die virtuelle Welt bedingungslos den Launen und Fähigkeiten ihres Kollegen Stefan Safranzki unterwerfen, der sich selbst als Stabsstelle Computer bezeichnet und den sie deshalb abteilungsintern Staco-Steff oder auch Stasi-Staco nennen.
Manni wirft sich auf seinen Bürostuhl und wählt Safranzkis Nummer. Besetzt. Wie immer. Und schnell persönlich vorbeischauen geht auch nicht, weil es Safranzki irgendwie gelungen ist, sein monitorbewehrtes Reich in ein fensterloses, dafür aber ruhiges und geräumiges Büro im Nebenhaus zu verlagern. Manni rollt 65 Zentimeter rückwärts, bis der Aktenschrank in seinem Rücken ihn bremst, wippt zurück, dass die Lehne quietscht, und stemmt die Füße auf die Schreibtischkante. Das sind ja die reinsten
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