Der Wald ist schweigen
Kaffee?«
»Gern.«
Umständlich schenkt Millstätt ihr ein, sinkt wieder auf seinen Bürosessel und beginnt einen Stapel Akten von der rechten auf die linke Seite seines Schreibtischs zu schichten. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit sieht er Judith nicht an. Sie trinkt einen Schluck Kaffee und verbrennt sich die Zunge. Die Hitze explodiert in ihrem Magen und sie fühlt, wie sie zu schwitzen beginnt.
»Du hast gestern Nachmittag versucht, mich zu erreichen. Tut mir Leid, ich war im Schnellbachtal und hatte mal wieder keinen Empfang. Du weißt doch, wie das im Bergischen ist, reine Glückssache. Als ich deine Nachricht bekam, habe ich mich sofort gemeldet, aber da war nur noch deine Mobilbox und Manni habe ich auch nicht mehr gekriegt …«
Millstätt unterbricht sie mit einer ungeduldigen Handbewegung.
»Es tut mir wirklich Leid. Was hat Manni denn herausgefunden, dass ihr mich so dringend brauchtet?«
»Darum musst du dich nicht mehr kümmern.«
Millstätts Kaffee ist viel zu stark. Sie fühlt, wie ihr Herz in harten Schlägen gegen ihre Rippen donnert, ihr Kopf beginnt zu glühen.
»Wie meinst du das?«
»Ich empfehle dir dringend, dich bis auf weiteres dienstfrei zu melden, Judith.«
»Aber …«
»Glaub mir, es fällt mir nicht leicht, dir das nahe zu legen, du weißt, dass ich dir nun wirklich sehr lange vieles nachgesehen habe. Aber dass du dich ohne jeden Grund und wiederholt meinen Anweisungen widersetzt, das kann ich nicht hinnehmen.«
»Aber ich bin doch hier. Und ich dachte, wenn Manni und ich uns aufteilen, kommen wir schneller voran. Ich glaube eben nach wie vor, dass wir im Schnellbachtal …«
»Dass du Juliane Wengert für unschuldig hältst, hast du ja eindrücklich demonstriert.«
Millstätts Schokoladenblick saugt sich an ihr fest. Sie fühlt, wie sich die Röte in ihrem Gesicht vertieft. Manni hat Millstätt also von ihrem peinlichen Auftritt in Juliane Wengerts Badezimmer erzählt. Natürlich hat er das, der kleine Speichellecker – wie konnte sie auch nur eine Sekunde hoffen, dass er schweigen würde. Sie schafft es nicht, Millstätts Blick standzuhalten, und betrachtet resigniert ihre Hände. Die Fingerkuppen sind gelb vom Nikotin. Ihr rechter Zeigefingernagel hat einen Trauerrand.
»Aber dein Einsatz als Jeanne d’Arc der Hauptverdächtigen hat nichts, aber auch gar nichts mit professioneller Ermittlungsarbeit zu tun, und das weißt du selbst sehr genau. Ganz davon abgesehen – nein, lass mich jetzt ausreden – ganz davon abgesehen war meine Anweisung an euch mehr als deutlich:
Ihr solltet als Team ermitteln – und dazu gehört, dass du dich, wenn du schon Alleingänge unternimmst, zumindest mit deinem Partner absprichst und dich regelmäßig bei ihm meldest.«
Millstätt wühlt in seinem Ablagekörbchen.
»Den Brief an die Zahnärztlichen Mitteilungen hast du im Übrigen auch nie abgeschickt, obwohl du das behauptet hast.« Er klatscht den unadressierten Umschlag vor Judith auf den Schreibtisch. »Gibt es sonst noch irgendetwas, was du versäumt oder gar herausgefunden hast?«
Judith schüttelt den Kopf. »Nein. Aber ich glaube …«
»Dein Glaube interessiert mich nicht.«
Millstätt steht auf und sieht auf einmal sehr erschöpft und wesentlich älter aus als sonst.
»Ich verzichte vorerst noch auf offizielle Schritte – unter der Bedingung, dass du dich endlich wegen dieser Geschichte mit Patrick in psychologische Behandlung begibst und bis auf weiteres freiwillig Urlaub nimmst.«
»Aber …«
»Bitte, Judith, du weißt, dass ich dich jederzeit auf irgendeine Kriminalwache versetzen lassen kann, aber das ist nicht mein Interesse, also zwing mich nicht, mit Dienstanweisungen zu arbeiten. Sag mir bis Freitag Bescheid, wie du dich entscheidest. Und bevor du gleich dieses Gebäude verlässt, gib mir deine Dienstwaffe und den Ausweis.«
»Und wer soll jetzt für mich weiter ermitteln?«
»So, wie es aussieht, kommt Manni gut voran und im Bergischen hat er ja noch diesen Hans Edling. Ab morgen erhält er außerdem unseren Neuen zur Unterstützung, obwohl das eigentlich gar nicht mehr nötig ist.«
»Aber …«
»Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir Juliane Wengert verhaften. Sie hat für das fragliche Wochenende kein Alibi, sie hat einen Motorradführerschein – und eine Nachbarin schwört, dass ihr Ehemann ein Verhältnis hatte.«
Judith fühlt etwas Nasses auf ihren brennenden Wangen. Sie wischt mit dem Ärmel darüber, aber das hilft nicht.
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