Der Wald ist schweigen
Beurteilung für die nächste Beförderungsrunde einfließen lassen. Manni beschließt, dass er sich und dem Anfänger in Anbetracht dieser Tatsache durchaus ein Mittagessen in der Kantine gönnen kann, bevor sie weiterschuften. Die Kantine stand zum Glück trotz der desolaten Landesfinanzen nicht auf dem 4-Millionen-Euro-Streichplan für den Neubau des Präsidiums – im Gegensatz zum Kellertrakt mit Schießstand oder den Internet-Zugängen. Manni steht auf und schlüpft in seine Fliegerjacke.
»Gute Arbeit, Ralf. Gehen wir essen. Und dann fahren wir nach Bonn.«
***
Count your blessings, hat Kate immer gesagt, mit ihrer dunklen Stimme, deren latente Heiserkeit sie mit ihrer Kindheit begründete: I’ve cried too much, Diana. Warum sie so viel weinte, hat Kate nie verraten, zutiefst davon überzeugt, dass es eine heilige Pflicht der Menschen sei, nach vorn zu blicken. Count your blessings – sieh das Gute in allem, was das SCHICKSAL dir gibt. Nicht, dass das Schicksal es besonders gut mit Kate gemeint hätte. Nach und nach war es Diana gelungen, die wichtigsten Eckpunkte in Erfahrung zu bringen: Eltern, die zu früh gestorben waren, ein Mann, der auf Nimmerwiedersehen verschwand, nachdem er das Wenige, was Kate besaß, verspielt hatte. Aber, count your blessings, immerhin hatte er ihr eine wunderbare Tochter geschenkt: Mary-Ann. Und selbst nachdem Rob, Dianas Boss, diese Mary-Ann geschwängert hatte, blieb Kate optimistisch: Das, was er und Diana im Auftrag des Nature-Nurture -Entwicklungshilfeprojekts ins Dorf M’Bele gebracht haben, war schließlich gut. Und immerhin hatte Rob kein Aids.
Count your blessings, denkt Diana, als sie nach einem langen Arbeitstag den dünnen Luftpostbriefumschlag mit den exotischen Briefmarken aus ihrem Briefkasten nimmt. Baby Belinda is wonderful, schreibt Kate in ihren eckigen Druckbuchstaben. We are very happy. We are teaching Jo-Jo to write. Next year Mary-Ann be going to school in Mombasa. Thank you so much! Come visit us soon! Kate hat einen dünnen Armreif aus Elefantenhaar beigelegt, einen Glücksbringer. Diana streift ihn über ihr Handgelenk. Ja, auch sie hat allen Grund, aufs Glück zu setzen. Immer noch zehrt sie von ihrem nächtlichen Ausflug ins Groove und sogar das Wetter ist endlich umgeschlagen, pünktlich zur Holzernte. Ein sonniger, golden leuchtender Herbsttag liegt hinter ihr, mit den Waldarbeitern kommt sie immer besser klar, allmählich scheinen sie zu begreifen, dass sie etwas von ihrem Job versteht, auch wenn sie eine Frau ist und ein paar Jahre in Afrika gelebt hat. Die Durchforstungsmaßnahmen bei Kürten werden sie morgen beenden können, plangemäß.
Und sie hat ihre Jagdgewehre wiederbekommen. Offenbar ist der Fall so gut wie gelöst. Sogar eine Verhaftung hat es schon gegeben. »Falsches Kaliber«, hat dieser alberne Kommissar mit der Silberjacke und der gegelten Igelfrisur gesagt, als er gestern Nachmittag ihre Gewehre zurückbrachte. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er ursprünglich mit einem anderen Ergebnis gerechnet hatte, und natürlich hielt er es nicht für nötig, sich für seinen Fehler zu entschuldigen. Ob sie noch eine weitere Waffe habe? Eine Kaliber-16-Schrotflinte vielleicht?, hat er stattdessen gefragt. Hesses Flinte hat Kaliber 16, aber da die ja nicht die Tatwaffe sein kann, hat sie einfach nur den Kopf geschüttelt. Und auch von den Anrufen und von ihrem Verdacht, dass womöglich sie das Opfer hätte sein sollen, hat sie nichts erzählt. Sie hat keinerlei Bedürfnis, sich lächerlich zu machen. Und schließlich, was könnte sie schon erzählen? Ihr Telefon ist seit dem Wochenende friedlich geblieben, ihre Panik erscheint ihr im Rückblick unangemessen, ja ein bisschen peinlich. Vermutlich war sie einfach überreizt, nachdem sie den Toten gefunden hatte. Sehr wahrscheinlich wollte jemand sie mit den Anrufen einfach ein bisschen ärgern, Schuljungen vielleicht. Und was das Handy aus dem Wald angeht, hat ihr Vedanja noch einmal versichert, dass es wirklich dieser Darshan gehört und dass er es an sie schicken wird.
Diana duscht, füttert Ronja, brät Kartoffeln zum Abendbrot und kocht eine große Kanne Rooibostee mit Vanillearoma. Sie ist ziemlich sicher, dass sie am Ende dieser Ernteperiode ziemlich gut dastehen wird, mit den Festmetern Buche und Fichte, die sie gemacht hat. Sie geht in ihr Büro und checkt die Zahlen, die die anderen Kollegen bisher ans Forstamt gemeldet haben, im Computer. Wirklich, sie ist ziemlich gut.
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