Der Wald: Roman
»Was meint ihr?«
»Sind alle in Ordnung?«, fragte Dad.
»Bis jetzt schon. Aber wer weiß, was als Nächstes passiert? Wir sind hier zu verdammt angreifbar. Ich meine, wir sollten die Zelte abbrechen. Wenn wir erst auf dem Weg sind, können wir wenigstens sehen, was auf uns zukommt. Der Ausflug ist eh vorbei, oder?«
»Würde ich auch sagen«, meinte Karen.
»Lassen wir die Leiche hier?«, fragte Scott.
»Er ist weg«, sagte Julie.
Benny spürte, wie Karen seine Hand fester umfasste.
»Entweder war der Typ nicht tot«, erklärte Flash, »oder jemand hat sich angeschlichen und sich mit ihm aus dem Staub gemacht.«
»Es muss die Frau gewesen sein«, sagte Nick.
»Welche Frau?«, fragte Dad.
Nick erzählte noch einmal die Geschichte der drei Mädchen, die von der Frau verjagt worden waren. »Sie hat bestimmt auch die Zelte aufgeschlitzt«, fügte er hinzu.
»Warum tut jemand so etwas?«, fragte Karen. »Ich könnte verstehen, wenn sie uns die Kehle durchschneiden wollte, aber so …«
»Eine einzelne Frau«, sagte Flash, »hätte uns nicht alle töten können. Nicht bei zwei oder drei Leuten in jedem Zelt und Nick und mir, die Wache gehalten haben. Sie hätte vielleicht ein paar von uns erwischen können, aber dann hätten wir sie fertiggemacht.«
»Aber warum hat sie uns dann geschnitten? Was wollte sie damit erreichen?«
»Ihr glaubt doch nicht, dass …« Julie verzog den Mund und schüttelte den Kopf.
»Was?«, fragte Nick.
»Es ist verrückt.«
»Was ist verrückt?«
»Also … vielleicht war die Klinge ja vergiftet.«
Bennys Magen verkrampfte sich. »Curare«, murmelte er.
»Kein Mensch hat hier Curare«, sagte sein Vater. »Und wenn doch, dann würden wir nicht hier herumstehen und darüber reden.«
»Vielleicht was anderes«, sagte Karen. »Irgendein Gift oder Keime.« Mit der freien Hand betastete sie den Schnitt in Bennys Gesicht. »Scheint nicht geschwollen zu sein. Bei Schlangengift wäre es angeschwollen. Außerdem braucht man ganz schön viel, um echten Schaden anzurichten.«
»Tollwut?«, schlug Nick vor.
Julie ächzte.
»Ich will niemandem Angst machen«, fuhr er fort, »aber man bräuchte nur ein bisschen Speichel oder Blut von einem tollwütigen Tier …«
»Das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich«, unterbrach ihn Scott. »Es muss eine spontane Sache gewesen sein. Wer hat schon ein tollwütiges Tier zur Hand?«
»Eine irre alte Frau«, sagte Julie.
»Ziemlich abwegig.«
»Aber möglich«, sagte Flash. »Du musst zugeben, dass es möglich ist, oder?«
»Möglich ist alles.« Scott klang verärgert.
»Es scheint ein wenig weit hergeholt«, sagte Karen, »aber etwas in der Art würde zumindest erklären, warum sie uns geschnitten hat. Was sollte sonst der Grund sein?«
»Ich weiß es nicht«, gab Scott zu. »Ich hasse nur die Vorstellung … Ich glaube, wir sollten lieber kein Risiko eingehen.«
»Wir marschieren auf dem kürzesten Weg zurück«, sagte Flash. »Wenn wir richtig Gas geben, schaffen wir es bestimmt an einem Tag bis zur Straße.«
»Es geht größtenteils bergab«, fügte Julie hinzu.
»Genau«, sagte Scott. »Und wir können den meisten Proviant hierlassen, dann haben wir weniger zu schleppen.«
»Was ist mit den Zelten?«, fragte Nick.
»Vergiss sie«, sagte Flash. »Jedes davon wiegt fünf Kilo, und sie sind sowieso im Arsch. Ohne sie sind wir schneller.«
»Finde ich auch«, sagte Scott. »Lassen wir das Zeug hier. Wir packen schnell zusammen und …«
»Mörder!« Der schrille Aufschrei ließ Benny zusammenzucken. Karen riss ihre Hand weg und wirbelte herum. Benny taumelte einen Schritt zurück. Durch den strömenden Regen sah er eine Frau auf einem Felsen in der Nähe des Ufers thronen. Er spürte, wie der Urin warm an seinem Bein hinabfloss und versuchte, ihn einzuhalten.
Alle standen reglos da und starrten die Frau an. Sie hatte die Beine weit gespreizt, das Kleid klebte an ihr, schwarze Haarsträhnen hingen über der dünnen, blassen Maske ihres Gesichts, die Arme hielt sie in die Luft gestreckt. Aus einer Hand ragte die Klinge eines kleinen Messers. Von der anderen schwang ein Beutel in der Größe eines Babykopfs herab.
»Mörder!«, kreischte sie wieder. »Ihr seid verflucht!« Sie schüttelte den Beutel. »Ich habe euer Blut und euer Haar! Ihr habt meinen Sohn umgebracht, und jetzt werdet ihr einer nach dem anderen sterben! Verflucht! Mein Fluch lastet auf euch!«
Sie sprang von dem Felsen, trat ein paar Schritte zur Seite und
Weitere Kostenlose Bücher