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Der Wald: Roman

Der Wald: Roman

Titel: Der Wald: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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einen Augenblick, bevor ihr Kopf zu explodieren schien. Sie rutschte nach unten. Wasser bedeckte ihre Augen, dann wurde es dunkel.

26
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    Nick kniete in seinem Zimmer auf dem Boden, befreite den Schlafsack aus der Hülle und rollte ihn aus. Genau jetzt, dachte er, würde ich oben in den Bergen neben Julie liegen, wenn nur … »Verflucht«, murmelte er.
    Er öffnete den Rucksack und leerte ihn aus, indem er seine schmutzige Wäsche auf einen Haufen warf, das Essgeschirr und die Wasserflasche für einen Gang in die Küche bereitlegte und einen dritten Haufen mit Ausrüstung zusammenstellte – Kompass, Erste-Hilfe-Set, Seil, Toilettenartikel –, der einfach wieder für das nächste Mal in den Rucksack gepackt werden konnte.
    Das nächste Mal?
    Nach dem, was am Mesquite Lake geschehen war, bezweifelte er, dass er jemals wieder Lust haben würde, wandern zu gehen. Aber man weiß nie. In der Vergangenheit hatte ihn immer, wenn er zu lange nicht in den Bergen gewesen war, eine schmerzlich starke Sehnsucht gepackt, wie eine Art Heimweh. Vielleicht würde er dieses Gefühl nun nicht mehr verspüren.
    Vielleicht würde nichts mehr jemals wieder so sein wie zuvor.
    Er hatte einen Mann getötet. Bei dem Gedanken verkrampfte sich etwas in ihm. Jeder – auch der Deputy, nachdem er die Geschichte gehört hatte – hatte ihm gesagt, dass er das Richtige getan, dass der Mann es nicht anders verdient, dass Nick der Welt einen Gefallen erwiesen hatte, indem er sie von ihm befreit hatte. Nick sagte sich selbst dasselbe, immer und immer wieder, und einerseits war er froh, es getan zu haben – Karen und Julie gerächt, den Mann davon abgehalten, Julies Vater mit dem Stein anzugreifen und dafür gesorgt zu haben, dass dieser Mann niemals wieder jemandem wehtun würde. Aber tief in seinem Inneren empfand er aufgrund der Gewissheit, dass er einem Leben ein Ende gesetzt hatte, eine beständige Übelkeit. Der Mann war tot. Tot. Er würde nie wieder die Sonne in seinem Gesicht spüren oder …
    Oder eine Frau vergewaltigen.
    Wenn er schon eine Woche früher tot gewesen wäre, hätte er Karen und Julie nicht angreifen können. Er hätte ihr Leben nicht aus der Bahn werfen können, und Nicks auch nicht.
    Und wenn er entkommen wäre, hätte es diese Nacht oder nächste Woche oder nächstes Jahr wieder Camper gegeben, die er terrorisieren oder gar töten hätte können.
    Ich habe das Richtige getan, sagte sich Nick. Ich sollte mich nicht so beschissen fühlen müssen. Das ist ungerecht.
    »Nick?«
    Er sah sich um. Sein Vater stand im Bademantel in der Tür.
    »Telefon.«
    Er spürte den kalten Stich der Angst. Aber in Dads Gesicht las er, dass es keinen Grund zur Sorge gab. »Wer ist dran?«
    »Eine gewisse Miss O’Toole.«
    Nick stand auf, stöhnte, als sich sein Muskelkater bemerkbar machte, und humpelte hinter seinem Vater den Flur entlang.
    »Du kannst den Apparat im Wohnzimmer nehmen, aber setz dich mit dieser Jeans nicht aufs Sofa, sonst kriegt deine Mutter einen Anfall.«
    »Okay«, sagte er.
    Dad hinkte ins Elternschlafzimmer, und Nick eilte ins Wohnzimmer. Er nahm den Hörer ab und sagte: »Ich bin dran.« Im Schlafzimmer wurde aufgelegt. »Hallo?«, sagte er.
    »Hi.« Ihre Stimme klang am Telefon etwas anders, aber vertraut genug, um eine Woge der Wärme in ihm aufsteigen zu lassen.
    »Hi, Julie. Wie geht’s dir?«
    »Lange nicht gesehen, was?«
    »Ja.«
    Eine lange Pause trat ein. Nick überlegte, was er sagen könnte, und fragte sich, ob es Julie genauso ging. Trotz der Stille mochte er das Gefühl, nah bei ihr zu sein.
    »Ich dachte, ich ruf nur mal an«, sagte sie schließlich, »um sicherzugehen, dass ihr gut nach Hause gekommen seid.«
    Er lächelte. »Hattest du Angst, der Fluch würde uns erwischen?«
    Er hörte ihr leises Lachen. »Das hängt mir schon zum Hals raus«, sagte sie.
    »Glaubt Benny immer noch daran?«
    »Wir hatten ungefähr zwei Stunden Ruhe, nachdem wir aus dem Krankenhaus gekommen sind. Weil er eingeschlafen ist. Dann musste Dad bei Denny’s halten, damit wir uns was zwischen die Kiemen schieben konnten, und Benny hat den Rest der Fahrt versucht, uns zu bekehren. Der Junge ist durchgeknallt.«
    »Wir dürfen nicht darüber reden. Als ich den Fluch erwähnt habe, ist Mum gleich an die Decke gegangen. Kennst du das erste Gebot?«
    »Wessen?«
    »Gottes erstes Gebot. Zu Moses. Die Steintafeln, weißt du?«
    »Ach, diese Gebote. Ich weiß, dass das elfte lautet: Du sollst dich nicht erwischen

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