Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
er Angst hat, dass ihm niemand glaubt.
Luis stand mit Konrad vor der Tür seines Lokals, als Thorvald und Olga ankamen. Olga reichte Konrad den Autoschlüssel.
»Er hat gesagt: ›Ich habe gewusst, dass das Ärger gibt‹«, meinte Konrad.
»Wer? Benno?«, fragte Thorvald.
»Und dann hat er aufgelegt.« Konrad sah ins Leere.
»Was kann er denn gemeint haben? Meinte er dich und Juliane?« Olga sah Luis fragend an.
»Kann schon sein«, antwortete Luis. »Das hört sich allerdings so an, als ob er schon länger Bescheid wusste. Und das halte ich für ausgeschlossen.«
»Gute Tarnung, wie?« Thorvald sah ihn verächtlich an.
»Geht dich das was an?«, entgegnete Luis arrogant.
»Ob mich das was angeht?«, schrie Thorvald plötzlich.»Was soll denn diese blöde Frage? Deinetwegen hocken wir doch alle in diesem Scheißwald hier und haben nur Ärger. Deine Geliebte Juliane ist tot, deine Frau Hanna sitzt im Knast und mein Freund Benno wird von der Polizei gehetzt! Und das geht mich nichts an?«
Seine Stimme überschlug sich. Die Gäste, die draußen an den Tischen saßen, sahen neugierig zu ihnen herüber. Thorvald spürte, wie der ganze aufgestaute Ärger der letzten Tage aus ihm herausbrach. In unheimlicher Geschwindigkeit. Bilder schossen durch sein Hirn: Bennos Kindergesicht, Julianes aufreizendes Lachen, das rot gefleckte Gesicht Christian Reuthers, Vincent Ambachs faltige, feuchte Tränensäcke, der humorlose Kommissar.
Thorvald holte aus und erwischte Luis‘ linke Wange mit voller Wucht. Luis flog rückwärts in die großen Blumentöpfe mit dem mannshohen Bambus, die gerade noch verhinderten, dass er durch die große Fensterscheibe stürzte.
Thorvald rieb sich die Faust und stapfte die Treppe hinunter Richtung Wald. Die Gäste saßen mit offenem Mund da, die mit Spaghetti umwickelten Gabeln in der Hand. Toni, der mit einem Unglück fast gerechnet hatte, kam aufgeregt durch das Lokal gelaufen und half Konrad, seinen benommenen Chef aus den zertrümmerten Blumentöpfen zu hieven.
16
Olga lag auf der Liege aus dunklem Teakholz. Ihr Blick verlor sich in den Wolken, die sich vor die Sonne geschoben hatten. Ihre Sonnenbrille kontrastierte die Wolkenränder scharf. Es würde nur noch wenige Sekunden dauern, bis die Sonne wieder zum Vorschein kam. Dann würden wieder ein paar Minuten vergehen, bis die nächste Wolke die Terrasse ihres Vaters verdunkelte.
Olga dachte nach. Das hatte sie die ganze Nacht über getan. Ab und zu war sie in einen Traum abgeglitten, war allerdings immer wieder aufgewacht, als würde sie von den Traumgestalten selbst aus dem wirren Geschehen katapultiert, als würden diese wollen, dass Olga die Dinge in der realen Welt ordnete und nicht macht- und tatenlos in der Traumwelt umherirrte.
Eine der Gestalten war Ruben gewesen, aber diesmal zusammen mit ihrem Großvater Vincent, der hinter seinem Sohn herschwebte und ihn zu packen versuchte, ihn aber nicht erreichte. Olga konnte nicht erkennen, ob ihr Großvater nach Ruben griff, um ihn an sich zu ziehen, oder ob er ihn wegstoßen wollte. Vincents Gesichtsausdruck war immer derselbe. Reglos und kalt. Doch im Traum spürte Olga deutlich, dass es bodenlose, nicht gutzumachende Verzweiflung war, die das Gesicht ihres Großvaters zeichnete. Dieser Traum war noch so präsent, dass sie das Gefühl hatte, es wäre gar keiner gewesen.
In Hamburg war der Vorsatz in Olga herangereift, sich von der Hütte zu trennen. Sich von altem Ballast zu befreien.Bisher hatte sie geglaubt, die Unruhe, die sie immer wieder befiel und deren Ursprung nicht eindeutig auszumachen war, ginge von ihrer nicht abgeschlossenen Vergangenheit hier im Wald aus. Die chaotische Trennung ihrer Eltern, die Schwester, die sie am liebsten verleugnete. Und im Mittelpunkt diese unglückselige Hütte, die irgendwie immer die Hauptrolle spielte und die sie schleunigst loswerden musste.
Aber die Hütte war gar nicht schuld. Das wusste Olga jetzt. Das ungesunde Beben, dessen negative Schwingungen von dem empfindlichen Seismografen ihres Unterbewusstseins registriert wurden, kam vom alten Herrenhaus ihres Großvaters. Das war der eigentliche Grund, warum sie ein Bedürfnis nach Ordnung, Klarheit und Abschluss verspürte.
Olga war aufgestanden und schaute, an die Mauer der Veranda gelehnt, in den Garten ihres Vaters. Bevor Vincent starb, musste er mit seinem Sohn Frieden schließen! Sie wollte es hinausschreien in den verdammten Wald, so dass es aus jedem feucht-modrigen Winkel
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