Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
dringend mit uns sprechen.«
»Hat er vom Museum aus angerufen?«, wollte Thorvald wissen.
»Ja.«
»Komm! Wir fahren in seine Wohnung. Ich habe noch den Schlüssel.« Thorvald nahm ihre Hand, und schnellen Schrittes gingen sie zum Ausgang und dann Richtung Parkplatz. »Vielleicht ist er nach Hause gefahren und dann eingeschlafen, so überarbeitet, wie er gerade ist.«
Vor Konrads Audi blieb Olga stehen. »Ich muss Konrads Wagen wieder mitnehmen, wir treffen uns in der Bayreuther Straße.«
Auf Thorvalds Dauerklingeln folgte keine Reaktion. Die Eingangstür blieb zu. Schließlich schloss Thorvald auf.
In Bennos Wohnung roch es muffig. Trotz der hohen Gewölbedecke des alten Industriegebäudes aus rotem Backstein, hatte sich der Geruch aus der vollgepackten Spüle in dem großen Raum verbreitet. Olga öffnete die beiden großen Fenster, die zum Hof hinausgingen. Der Geruch erinnerte sie an Julianes Wohnung und beschwor sofort wieder das Bild der Toten herauf, umweht vom Stinkmorcheldunst.
Leise gingen sie in Bennos Wohnung umher. Die Dämmerung war bereits fortgeschritten, und sie mussten das Licht einschalten. Das Bett war ungemacht und Kleidungsstücke lagen auf dem Boden herum. »Das ist nicht Bennos Art«, dachte Olga, als sie das Chaos betrachtete.
»Es sieht so aus, als hätte er die letzten Tage nur gearbeitet, gegessen und geschlafen, ohne irgendetwas wegzuräumen. Wie ein Besessener«, sagte sie und blieb vorder Spüle stehen, in der sich leere Konservenbüchsen und Teller mit getrockneten Essensresten türmten.
Thorvald stand neben ihr und schaute auf das große grüne Tor des Weinhändlers auf der anderen Seite des Hofes. »Wer so wohnt, kann niemals dem Wein abschwören. Ich kann ihn förmlich riechen.«
»Das ist die offene Flasche neben dir.« Olga zeigte auf den Wein, der auf dem Küchentresen stand.
Thorvald nahm die Flasche und roch daran. Dann drehte er sie in seiner Hand und betrachtete das Etikett. »… ein Spanier, Jahrgang 2000 … exzellenter Jahrgang. Nie würde Benno so einen Wein unverkorkt herumstehen lassen.« Er stellte die Flasche kopfschüttelnd zurück. »Als ich vor ein paar Tagen hier war, sah alles ganz anders aus.« Thorvald erinnerte sich an den Besuch in dieser Wohnung. Da hatte ihm Benno auch den Schlüssel mitgegeben. Gestern hatten sie eigentlich zu einer Weinprobe gehen und den Rest des Abends gemeinsam verbringen wollen. Doch wegen Thorvalds Opernpremiere und Bennos Termindruck im Museum, vor allem aber wegen der Ereignisse im Wald, hatten beide nicht mehr daran gedacht.
Olgas Telefon summte. Erwartungsvoll nahm sie den Anruf entgegen. Hoffentlich war es Benno.
»Hier ist Konrad. Olga … Benno wird von der Polizei gesucht.«
»Von der Polizei? Warum das denn?« Olga sah verwirrt zu Thorvald, der neben ihr stand.
»Der Kommissar hat vorhin mit mir gesprochen, Benno wird verdächtigt … wegen des Mordes …« Konrad versagte die Stimme.
»Konrad …« Olga wusste nicht, was sie sagen sollte. »Wir sind gerade in seiner Wohnung. Also hier ist ernicht, aber …«, sie atmete einmal tief durch. »Jetzt beruhige dich, ich weiß zwar auch noch nicht, was wir machen sollen, aber mir fällt schon irgendwas ein. Geh nach Hause, Konrad. Ich melde mich wieder.«
Thorvald hatte sich auf einen der Stühle an dem großen Esstisch gesetzt und das Telefonat ruhig mitangehört. »Benno wird also auch verdächtigt?« Olga nickte. »Wird er per Haftbefehl gesucht? Muss der nicht von einem Richter ausgestellt werden?«, fragte Thorvald und unterbrach so Olgas aufkommende leise Panik.
Olga schüttelte geistesabwesend den Kopf. »Konrad hat nichts von einem Haftbefehl gesagt. Aber irgendetwas muss die Polizei gefunden haben.« Sie sah Thorvald erschrocken an. »Ist Benno deswegen abgehauen?– Thorvald! Kannst du dir so was vorstellen? Wo sollte er denn hin?«
»Ich habe keine Ahnung«, seufzte Thorvald. »Die Sache wird immer mysteriöser.«
Er erhob sich langsam und ging in Bennos Arbeitszimmer zurück. Der Schreibtisch war in mehreren Lagen mit Papier und Büchern bedeckt. Das Notebook war zugeklappt, vier Kaffeebecher mit angetrocknetem Bodensatz standen auf den Papieren herum, dazwischen lagen zerknüllte Brötchentüten. Die großen Bücherregale machten einen unordentlichen Eindruck. Viele Bücher waren regelrecht herausgerissen und lagen aufgeschlagen auf dem Boden herum, andere waren in den entstandenen Lücken umgekippt und standen schräg
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