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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
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versuchte mit aller Kraft, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken.
    »Beruhigen Sie sich. Wir werden alles tun, um ihn zu finden. Das Handy wird uns weiterhelfen.«
    Kirschbaum wollte schon gehen, dann hielt er noch einmal inne und sah Olga an.
    »Woran hat Benno zuletzt gearbeitet?«
    »Hauptsächlich an der Turner-Ausstellung.«
    Der Kommissar gab ihr die Hand. »Sollen wir Sie mitnehmen?«
    Olga schüttelte den Kopf.
    »Ich melde mich, sobald wir Neuigkeiten haben.«
    Kirschbaum ging zu seinen Leuten, die an der Wegkreuzung auf ihn warteten. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verschwanden sie. Die Arbeit war getan, der Wald hatte seinen Frieden wieder.
    Reglos stand Olga da und schaute sich um. Sie wusste nicht, in welche Richtung sie gehen sollte. Für einen kurzen Augenblick hatte sie die Orientierung verloren. Sie hörte wieder das Fluchen der Fuhrleute, das Knarren der Ochsenkarren, das Geschrei der Wegelagerer. Hatten sie Benno hier aufgelauert? So wie vor fast achthundert Jahren, als Engelbert, Graf von Berg und Erzbischof von Köln, von einer Horde Verschwörern in einem dieser unheimlichen Hohlwege erschlagen wurde, die ihm dort an einem düsteren Novemberabend auflauerten. So wie vor ihm der päpstliche Legat Kardinal Theoderich. Oder die beiden Kaufleute aus Thorn, die hier von einer Horde Ritter des Junkers Gerhard von der Mark überfallen wurden und Pferde und Barschaft einbüßten? Oder Juliane, die vielleicht auch in einem Hohlweg erschlagen wurde, bevor sie ertrank. Nackte Angst packte Olga.
    Sie durfte keine Panik bekommen. Unter keinen Umständen.Sie musste sich beruhigen, jetzt sofort. Olga wusste sich in solchen Momenten aufsteigender Hilflosigkeit zu helfen. Sie drehte sich um sich selbst und versuchte, die wuchernden Büsche und Bennnesseln mit den Augen einer Fremden zu sehen, die noch nie in diesem Teil der Welt war. Wie anders eine vertraute Umgebung doch aussehen konnte, wenn man leugnete, dass man eigentlich wusste, wie der Weg hinter der nächsten Biegung aussah. Wenn man sich bemühte, all das zu vergessen, was man falsch gemacht hatte. Einen Augenblick lang kam es Olga so vor, als wäre es tatsächlich möglich, alles zu vergessen und ganz woanders weiterzumachen. Wie eine Verunglückte, die ihr Gedächtnis und damit ihre Vergangenheit verloren hatte.

17
    »Ihr Großvater ist nicht hier«, sagte Elise freundlich, nachdem sie die Türe geöffnet hatte, und lächelte in professioneller Unverbindlichkeit.
    »Wo ist er denn hin?«, fragte Olga verwundert.
    »Er ist mit Frau Himmelreich in die Stadt gefahren, mehr weiß ich leider nicht.« Sie hob entschuldigend die Schultern.
    »Wann kommen sie wieder?«
    »Tut mir leid, das kann ich Ihnen auch nicht sagen.« Sie sah Olga voller Bedauern an. »Frau Himmelreich sagte nur, ich müsse mich nicht um das Essen kümmern und könne mittags gehen.«
    »Frau Himmelreich   …« Olga schaute kurz zu Thorvald und räusperte sich. »Wir wollten eigentlich nur die Noten holen, die wir vergessen haben«, entgegnete Olga enttäuscht.
    Schon wieder nichts, dachte sie. Ich komme immer zu spät oder zur falschen Zeit.
    Elise geleitete die beiden in den Salon. Olga setzte sich auf den Klavierhocker, hob den Deckel des Flügels und klimperte mit einer Hand die »Promenade« aus Mussorgskis ›Bilder einer Ausstellung‹. Diese Melodie bemächtigte sich ihrer immer in Momenten, in denen sie auf irgendetwas wartete oder an nichts denken wollte.
    Thorvald hatte auf dem harten Ledersofa Platz genommen und schaute aus dem Fenster. Ihn hatte der Fund von Bennos Handy mehr getroffen, als er zeigen wollte.Er war schweigsam geworden. Als Olga zu ihm hinübersah, dachte sie, dass Benno genauso dagesessen und aus dem Fenster geschaut hatte.
    Elise kam mit einem Tablett herein und servierte Kaffee. Olga nahm die Tasse entgegen und setzte sich Thorvald gegenüber.
    »Bitte, setzen Sie sich zu uns.« Olga deutete auf den Platz neben Thorvald, und Elise setzte sich vorsichtig.
    »Sagen Sie, Elise   … war Juliane eigentlich lange hier?«
    Olga wusste eigentlich gar nicht genau, wonach sie fragen sollte, aber sie wollte über Juliane reden.
    »Unterschiedlich, sie war ja mehrere Male hier.«
    Olga war erstaunt. »Aber sie hat nur mit Frau Himmelreich geredet.«
    »Ja, das stimmt. Herr Ambach wollte sie zwar auch einmal empfangen, aber   …« Olga hob die Augenbrauen »…   aber sie   … Frau Himmelreich hat das nicht zugelassen.« Elise holte tief Luft. »Sie

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