Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
Klassentreffens mit Benno zusammen und er hatte nicht vor, jemanden umzubringen«, sagte er schließlich.
»Sie sind nach eigenen Aussagen gegen Morgengrauen zu Frau Ambach gegangen und haben außer ihr niemand anderen mehr gesehen. Richtig?«
Thorvald nickte und wusste gleichzeitig, dass das nicht stimmte.
»Vier ihrer Klassenkameraden berichten aber, dass sie Benno Thalbach im Wald gesehen haben, und zwar exaktzur selben Zeit, als Sie unterwegs waren. In der Nähe der Hütte.«
Ich habe ihn auch gesehen, dachte Thorvald. »Das ist schon möglich«, sagte er. »Alle sind im Wald herumgelaufen. Es war heiß, wir hatten getrunken, es war eben ein Waldfest.«
Olga erinnerte sich daran, dass Thorvald Benno gesehen hatte, als er zur Hütte gekommen war. Und sie hatte auch wieder Bennos verzweifelten Gesichtsausdruck vor Augen, als sie aufgebrochen war. Sie wandte sich an Kirschbaum.
»Ich habe ihn nicht gesehen. Als Herr Einarsson zu mir kam, waren wir allein. Aber auf dem Weg dorthin liefen wirklich viele Leute im Wald herum. Sprechen Sie doch noch mal mit Robert Hunter.«
Kirschbaum wollte gerade Luft holen, um etwas zu sagen, als Thorvald so abrupt von seinem Stuhl aufsprang, dass dieser nach hinten kippte.
»Sagen Sie doch endlich, warum Benno eigentlich verdächtigt wird. Was haben Sie gegen ihn in der Hand, dass Sie so ein Theater veranstalten?«
»Das Theater überlasse ich ausgebildeten Leuten wie Ihnen. Es spricht für Sie, dass Sie ihren Freund verteidigen wollen. Aber Sie haben ihn viele Jahre nicht mehr gesehen, oder?«
Kirschbaum sah ihn regungslos an.
»Er ist nach Hause gegangen!«, rief Thorvald.
»In die Stadt!«, entgegnete Kirschbaum trocken. »Er ist betrunken zwanzig Kilometer über Stock und Stein und die Landstraße nach Hause gelaufen? Erscheint Ihnen das realistisch?«
»Das haben wir früher öfter gemacht«, erwiderte Thorvald ruhig. »Wir sind sogar schon mal von Lüdenscheidnach Hause gelaufen, die ganze Nacht durch. Mit einigen Pausen natürlich.«
Olga musste lächeln. »Stimmt. Als ihr zu dem Open-Air-Festival getrampt seid und die Leute, mit denen ihr gefahren seid, euch versprochen hatten, euch wieder mitzunehmen. Aber die waren dann nicht mehr da, als die Veranstaltung zu Ende war. Da sind Benno und Thorvald einfach losgegangen und haben immer wieder versucht, Autos anzuhalten. Aber damals sahen sie nicht so vertrauenswürdig aus wie heute. Es hielt keiner an, also sind sie weitergegangen, bis sie zu Hause waren. Benno hat das bis heute immer wieder gemacht.«
»Wir haben bisher niemanden gefunden, der ihn gesehen hat.«
»Dann suchen Sie weiter«, rief Thorvald ungehalten.
»Welches Motiv sollte Benno denn haben, Juliane umzubringen?«, fragte Olga, an Kirschbaum gewandt. »Die hatten doch gar nichts miteinander zu tun.«
»Die Gedankengänge eines Verzweifelten sind nicht immer logisch«, antwortete Kirschbaum.
Olga stellte fest, dass der Kommissar auf keine ihrer Fragen eine Antwort gab. Sie wusste, dass alles, was er an Erkenntnissen hatte, Täterwissen sein konnte. Und das behielt er natürlich für sich.
»Ich möchte Sie jetzt bitten, die Wohnung zu verlassen«, beendete er die Unterhaltung. »Wenn Sie etwas von Ihrem Freund hören, dann verständigen Sie uns bitte.«
Er sah Thorvald und Olga eindringlich an und reichte ihnen die Hand. Dann wies er seine Kollegen mit einem Kopfnicken an, die beiden nach draußen zu begleiten.
Während der Fahrt musste Olga ständig an Benno denken. Irrte er durch den Wald und schlief in einer der verborgenen Zwergenhöhlen in seinem Schlafsack? Oderwar er vor dem Haftbefehl über die Autobahn in unerreichbare Ferne geflohen und hatte alles hinter sich gelassen? Seinen Vater, die Arbeit für das Museum, in die er seine ganze Kraft und Phantasie gesteckt hatte?
Wenn es so war, konnte das nur eine Kurzschlussreaktion gewesen sein, in ein paar Tagen würde er doch wiederkommen müssen. Irgendwann war das Geld zu Ende. Beim nächsten Geldautomaten würden sie ihn finden. Der Gedanke, dass ihr bester Freund Benno, der ihr Bruder hätte sein können, jetzt irgendwo herumirrte, schien ihr unerträglich. Oder würde er sich entgegen aller Vernunft in der Nähe ihrer Hütte verstecken und warten, dass sie endlich kam? Machte man nicht in verzweifelten Situationen grobe Fehler? Eigentlich wünschte sie sich so etwas. Dann hätte die Ungewissheit ein Ende und alles würde sich aufklären. Warum flieht jemand, der unschuldig ist? Weil
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