Der Wald wirft schwarze Schatten
wo die Schlucht beginnt. Schwerfällig klettert er die hohen Stufen hinunter und stützt sich mit den Fingern an den bemoosten Wänden ab. Hier unten ist es noch dunkler, die Geräusche sind dumpf. Das schwache Echo seiner Schritte. Das Rieseln des Baches. Er geht weiter und meint direkt neben sich jemanden atmen zu hören. Bleibt stehen und lauscht, und das Geräusch verschwindet. Aber sobald er sich in Bewegung setzt, ist es wieder da. Angst wallt in ihm auf, wie etwas Zähes, Schweres, das vom Magen in den Hals hinaufdrängt. Er bleibt wieder stehen, und plötzlich begreift er, dass das Geräusch von der Kapuze seiner Jacke herrührt, die an den Schultern reibt.
Wilhelm kämpft sich weiter durch die Klamm voran. Stößt einen Fluch aus, als er in ein Loch tritt und sich nasse Füße holt. Wenn er jetzt nur den Hund dabeihätte. Der Hund ist ein guter Begleiter. Mit ihm fühlt er sich sicherer. Der Hund wäre schnüffelnd vorangelaufen, hätte den Weg gefunden. Wäre zu ihm zurückgelaufen, immer vor und zurück, und hätte dafür gesorgt, dass er Schritt hält. Der hätte ihn auf den richtigen Weg gebracht, auf die richtigen Gedanken. Aber es war unmöglich, ihn mitzunehmen. Man kann mit einem Köter nicht einfach von den USA nach Norwegen fliegen, er muss vorher monatelang in Quarantäne. Aber das, was er getan hat, hätte er nicht tun müssen. Er hätte ihn ins Tierheim bringen oder einen der Jungen bitten können, auf ihn aufzupassen. John hätte das gerne gemacht. Man darf sein Herz an nichts zu sehr hängen. Nichts liebgewinnen. Dann geht es.
Er ist sicher noch nicht tot. Das dauert bestimmt länger. Aber er wird wohl ziemlich winseln, da in der Garage. Wie immer, wenn er rauswill. Aber langgezogener und mit dem beißenden Unterton von Enttäuschung, von Trauer. Heartbroken. Mit der Zeit wird das Winseln nach Not klingen. Er wird nicht sehr lange durchhalten. Ohne Futter wäre es eine Weile gegangen, aber nicht ohne Wasser. Er wird wohl zuerst das Bewusstsein verlieren. Im Fieber dahindämmern und seltsame Hundeträume haben. Träume, in denen
er
vorkommt. Der Besitzer, dem er so treu ergeben war. Herr, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Wird schnell nur noch Haut und Knochen sein. In einer seltsam hingegossenen Stellung daliegen, zwischen Kisten, Gartengeräten, Werkzeug und anderem Gerümpel. Auf der Seite, mit halb geöffnetem Maul. Bald wird die Zunge heraushängen, die Augen werden nach hinten verdreht sein, sodass nur noch das Weiße zu sehen ist. Die Fliegen finden ihren Weg dorthin, das geht schnell bei der Hitze. Beginnen ihr Werk, noch bevor der Tod eintritt. Man wird für seine Liebe bestraft. Er wird bestraft. Er wird mit den Details gequält werden, dem Bild der Maden, die sich in das weiche Fell fressen, durch den Nacken, der sich so gerne streicheln ließ. Das Fell, das er so gerne gestreichelt hat. Die Maden fressen sich quer durch den wedelnden Schweif, sodass er bricht, legen das Fleisch frei, bis immer mehr von der Knochenstruktur sichtbar wird. Rot, bevor es verfault. Leise und jämmerlich, heulend vor Schmerz.
Ob er vorher noch die Garage vollscheißt? Ein dünner, gelblicher Durchfallkot, in Streifen. Schöne Schweinerei, das wegzumachen. Stinkender Hundekadaver, stinkende Scheiße. Kehrt er noch einmal dorthin zurück? Immer weg, immer weiter. Neu anfangen, ein unbeschriebenes Blatt. Kopf waschen, Hände waschen, um nichts trauern, nichts vermissen.
Warum ist man trotzdem so schwer, warum muss man das mit sich herumschleppen, wohin man auch geht? Man wird es nie los. Weiß der Himmel, sie ist sicher immer noch dort.
Sie verbrachten einen einzigen Tag zusammen. Einen ganz gewöhnlichen Tag, wenn man von seinem Ende absieht. Sie erwachten vom Licht, das durch die dünnen Gardinen auf ihre Gesichter fiel. Er war aus dem Bett aufgestanden, hatte die Füße auf den kühlen Fußboden gestellt. Hatte dem Morgen die Tür geöffnet. Die Luft war klar und frisch. Ein knallblauer Herbsthimmel, strahlender Sonnenschein zwischen den Bäumen. Im Laufe des Tages würde es wärmer werden. Das wurde es ja immer.
Der Junge schlief noch. Sie verhielten sich leise, damit er nicht aufwachte. Wilhelm öffnete den Schuppen, holte die Campingstühle und stellte sie auf, holte den Hocker, den sie als Tisch benutzten, während Elise Kaffee kochte. Es roch gut. Der Kaffee schmeckte hier immer am besten. Sie hockte draußen mit der Kanne und dem Primuskocher, nur in T-Shirt und Shorts, obwohl es
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