Der Wald wirft schwarze Schatten
nicht besonders warm war. Gänsehaut an Armen und Beinen.
«Frierst du nicht?»
«Nein», sagte sie.
Er strich ihr übers Haar, ließ die Hand Richtung Nacken gleiten. Der Hals. Der schöne weiße Hals. Sie rührte sich nicht. Trotzdem war es, als wiche sie ihm aus, bevor sie kurz zu ihm aufsah, mit diesem fast furchtsamen Blick. Ahnte sie, was später passieren würde? Wie sollte sie, er wusste es ja selbst nicht. Hatte keine Vorausahnungen, abgesehen von dem Impuls, der ihn manchmal durchzuckte. Doch. Vielleicht spürte er ihn in dem Moment. Aber er unterdrückte ihn. Den Impuls, sie umzustoßen, sie mit Fußtritten zu traktieren, ihr Gesicht in den Erdboden zu drücken, ihr die blonden Haare in großen Büscheln auszureißen. Während seine Augen sich mit Rot füllten und er in den Keller hineinsah. Die blutroten Augen, lodernd. Die Stille vor dem Gebrüll. Ein Wechselbalg, eine Missgeburt. Glaub ja nicht, dass es anders wird, nichts wird anders. Ich wollte dich nicht. Du bist abscheulich.
Es war schön im Wald. Sonnenschein und Frieden. Vogelzwitschern und das Murmeln des Baches. Sie tranken den besonders guten Kaffee. Die Sonne wärmte schon. Sie aßen ein paar Scheiben von dem selbstgebackenen Brot. Und danach erhob er sich, ging wieder in den Schuppen und holte die Axt. Begann auf dem großen Baumstumpf Holz zu hacken. Wohl ungefähr zu dieser Zeit wachte der Junge auf und fing an zu greinen. Sie war wie üblich sofort bei ihm. Hob ihn aus dem Bett und trug ihn hinaus. Stand da in der Sonne mit ihm, während er sich die Augen rieb. Trug ihn auf dem Arm, so als könnte er nicht selbst gehen. Er war immerhin drei Jahre alt, konnte in Comic-Heften blättern und schon ein wenig davon verstehen. Hatte einen Wortschatz wie ein Fünfjähriger, war jedoch noch nicht ganz aus den Windeln. Aber das war sicher eine Art Taktik, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Er hatte seine Mutter jedenfalls genau dort, wo er sie haben wollte, mit seinen großen dunkelbraunen Augen. Sie setzte ihn auf der Haustürschwelle ab, gab ihm eine Scheibe Brot, von der die Marmelade heruntertropfte, strich ihm mit der Hand durchs Haar, drückte ihn an sich. Er selbst hackte weiter Holz, schlug kraftvoll zu. Krick. Krack. Krick. Krack.
Ein schönes Material, Holz. Es hat genau die richtige Festigkeit. Stein ist zu hart, da braucht man Spezialmaschinen. Glas ist zu spröde, das gibt zu viele Scherben. Und Fleisch ist zu weich, zu leicht durchzuschneiden, aufzureißen. Er hätte bei Holz bleiben sollen. Hätte diesen Tag verstreichen lassen sollen wie einen ganz gewöhnlichen Tag. So machen es die Leute ja, leben ein Leben voller gewöhnlicher Tage. Leben als Familie. Leben auch getrennt, jeder woanders. Andere Leute schaffen das.
Sie machten einen Spaziergang in den Wald. Ein paar Kilometer die Anhöhe hinauf, von wo aus man den nächsten und den übernächsten Bergrücken sehen konnte, und wie weit es bis zu anderen Leuten war. Man konnte Schweden sehen. Nichts zu entdecken, kein Haus, kein Bauernhof. Nur ihre Hütte. Die einzige Hütte weit und breit, dort unten auf einer Lichtung. Sie gingen noch ein Stück tiefer in den Wald, nachdem sie zu Mittag ihren Proviant verzehrt hatten. Aber dann fing der Junge an zu quengeln, er sei so müde. Elise nahm ihn auf den Rücken, trug ihn den ganzen restlichen Weg. Später muss er länger durchgehalten haben. Er war ja nirgends zu sehen. Wie weit ist er gelaufen, bevor er im Heidekraut zusammenbrach? Wie lange hat es gedauert, bis das kleine Herz aufhörte zu schlagen? Wo ist der kleine runde Körper geblieben? Ist er zu einer verfluchten Ausgeburt geworden, mit riesigen Glotzaugen?
Wilhelm zuckt zusammen, als es im Gebüsch hinter ihm knackt. Er öffnet die Jacke, zieht die Waffe hervor und lauscht, mit hämmerndem Herzen und dem Finger am Abzug. Eine Krähe fliegt krächzend auf. Er wartet. Nichts zu hören, nur die Krähe. Er steckt die Waffe zurück an ihren Platz, macht die Stirnlampe wieder an, leuchtet in den Wald hinein. Niemand da. Keine Menschenseele.
Er hat den Jungen nie gemocht. Konnte ihn nicht ausstehen. Die braunen Augen, die dicken Arme, die dunklen Locken. Das weiche Lächeln. Ihn hat er nie angelächelt. Sah nur verängstigt aus, wenn er ihn hochnahm. Schrie. Und wie der Bengel schreien konnte. Manchmal die ganze Nacht durch, besonders im ersten Jahr. Er hat das Paradies in Scherben geschrien. Es war nur eine Frage der Zeit, bis alles kaputtgehen musste.
Er riecht den
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