Der Wald wirft schwarze Schatten
säuerlichen Duft von Gagel. Kurz darauf steht er unten am Sumpf, und jetzt ist es nicht mehr weit. Er wird jeden Augenblick dort sein. Schhh, macht er. Die Stimme im Kopf. Das Herz im Hals. Mein kleiner Junge, was für einen Vater du hattest. Was für einen schrecklichen Vater. Warum musste er hierher, warum ist er zurückgekommen? Der Verbrecher muss immer zurück. Muss Spuren beseitigen, dass es aussieht, als wäre nichts geschehen. Erst dann ist man sicher.
Da ist die große Kiefer, noch größer jetzt. Wie dick der Stamm geworden ist. Hier ist der Bach, der den Pfad schneidet. Die großen Steine, zwei runde und ein flacher. Hier ist das Gestrüpp auf der linken Seite. Noch ein paar Wegbiegungen, dann ist er da. Er geht weiter, geht die letzten zwanzig Meter und bleibt stehen. Wo ist die Hütte geblieben? Er geht noch ein paar Schritte. Ein unheimliches Gefühl überfällt ihn. Angst. Wenn sie eingestürzt wäre, müsste da ein Bretterhaufen liegen. Aber da ist nichts.
Plötzlich huscht der Lichtstrahl über das Fenster, und es blitzt kurz auf, ehe die Dunkelheit sich wieder um ihn schließt. Er geht ein paar Schritte näher heran, und jetzt erkennt er es. Der Anstrich ist abgeblättert und hat eine melierte Tarnfarbe aus Braun und Graugrün hinterlassen. Die Wände verschmelzen vollkommen mit dem Wald. Die Hütte steht noch genau so da, wie er sie verlassen hat. Er geht zur Tür, legt die Hand auf die Klinke, will sie herunterdrücken, aber da wird ihm schwindlig vor Augen. Nein, nicht hinein. Das ist nicht notwendig. Er hat heute schon genug Flashbacks gehabt, das reicht für ein ganzes Leben. Ihm steht noch deutlich vor Augen, wie es dort drinnen war. Der kleine Raum mit dem Kinderbett, der etwas größere Raum mit dem Bettsofa. Der Fußboden, auf dem sie zusammengesunken ist. Wilhelm zieht den Benzinkanister aus dem Rucksack.
[zur Inhaltsübersicht]
33
Lukas wacht auf. Von einem Geräusch. Einem Geruch. Es riecht anders als vorhin, aber er weiß, wo er ist. Er weiß es sofort! Er ist in der kleinen Hütte im Wald. Es ist noch nicht ganz Morgen. Es ist nämlich noch nicht hell, nur grau. Aber er kann die Dinge um sich herum erkennen. Die Kleider am Haken. Die Kommode neben dem Bett. Die viel zu kleinen Gummistiefel. Alles ist wie vorher. Nur der Geruch nicht. Es riecht merkwürdig. Intensiv. Und kein bisschen wie Wald. Er kennt den Geruch, aber er weiß nicht, woher. Er setzt sich im Bett auf, hält nach Wolf Ausschau, findet ihn aber nicht. Das hellblaue Kuschelkaninchen liegt drüben bei der Kommode. Er streckt den Arm aus, nimmt es und drückt es an sich.
«Papa?», sagt er, ziemlich leise.
Keine Antwort. Er will nicht noch einmal fragen, will nicht rufen. Will nicht wissen, dass Papa nicht zurückgekommen ist. Er legt sich wieder hin. Schaut an die Decke, hinauf zu dem Spalt, dem schmalen Riss, durch den man einen Streifen des Himmels sehen kann. Er ist nicht mehr dunkel, mehr eine Art graues Orange. Während er daliegt und die Linien an der Decke zählt, versucht er, nicht an den Geruch zu denken. Aber es geht nicht. Der Geruch gehört hier nicht her. Er ist fremd. Aber was soll er dagegen tun? Er kann nichts tun. Nichts. Er kann nur liegen bleiben. Das ist am sichersten. Daliegen, auf Papa warten und sich nicht im Wald verlaufen.
Jetzt hört er draußen ein Rascheln. Er hält die Luft an. Da ist jemand. Papa? Warum kommt er nicht rein? Es hört sich gar nicht an wie er. Ob es die Außerirdischen sind? Vielleicht kommt der Geruch ja von ihrem Raumschiff. Vielleicht ist Darth Vader mit seinen Sturmtruppen in weißen Plastikuniformen gekommen, mit Laserpistolen und Bomben mit Wärmesensoren. Und jetzt merken sie, dass er in der Nähe ist. Sie wissen, dass er Luke ist, nicht Lukas, und dass
er
sein Vater ist.
Wenn sie nun reinkommen und ihn aus dem Bett zerren, ihn fesseln und in ihrem Raumschiff auf den Todesstern mitnehmen? Oder sie operieren ihm lauter Sachen ins Gehirn und machen ihn zu einem dunklen Jedi, mit fiesen gelben Augen und roten Rändern drumherum. Er kneift die Augen zusammen, und wieder raschelt es. Er hört Schritte, ganz deutlich. Und eine leise murmelnde Stimme, die sich überhaupt nicht anhört wie die von Papa. Er schluckt, spürt sein Herz in der Brust wummern. Es schlägt so laut, dass er beinahe sicher ist, dass man es bis draußen hört.
«Das ist nur Papa», flüstert er dem hellblauen Kaninchen atemlos zu. «Da draußen ist bloß Papa. Wir schlafen jetzt. Du und ich
Weitere Kostenlose Bücher