Der Wald wirft schwarze Schatten
anrufen. Er schneidet tatsächlich so viel ab, dass die ahnungslosen Gartenbesitzer glauben, er bringt ihre Pflanzen um, wo doch das Gegenteil der Fall ist. Durch das Beschneiden werden die Pflanzen nur noch kräftiger. Dichter und üppiger. Schwer von Früchten und Blüten.
Gleichzeitig hat das kräftige Wachstum beinahe etwas Perverses. Wie das Grün im Frühling hervorschießt. Nicht zaghaft und vorsichtig wie im norwegischen Frühling, wo die Triebe ängstlich herausschauen und langsam in die Höhe wachsen, aus Furcht vor weiterem Frost. In Pennsylvania passiert das über Nacht, innerhalb von Stunden, auf eine schamlose, vulgäre Weise. Die Blätter können gar nicht schnell genug groß werden. Und wenn es erst einmal begonnen hat, geht es den ganzen Sommer über so weiter, in einer explosionsartigen Geschwindigkeit bricht das Grün überall hervor, üppig wuchernd, bedeckt alle Flächen, kriecht jedem Lichtschimmer entgegen. Wächst aneinander hoch, sich gegenseitig umschlingend, sich umwickelnd mit immer neuen Trieben, neuen Zweigen, Blättern, Wurzeln.
Das Unkraut ist, wenig überraschend, schlimmer als alles, was er je erlebt hat. Er muss mit den durchtriebensten Gewächsen fertigwerden. Am schlimmsten ist natürlich der Giftefeu. Er hat nicht lange gebraucht, um die auf den ersten Blick bescheidene Pflanze mit ihren unscheinbaren, dreifiedrigen Blättern zu erkennen. Sich ein Mal daran zu verbrennen hat gereicht. Die nordische Brennnessel seiner Kindheit löste einen leicht quaddeligen Ausschlag aus, der innerhalb weniger Stunden wieder verschwand, aber vom Giftefeu bekam er große brennende Blasen und nässende Wunden. Ein kontinuierlicher, flammender Schmerz, der drei bis vier Wochen anhielt, bevor die Haut endlich langsam abheilte.
Der Giftefeu scheint zurzeit überall aufzutauchen. Mit seinen rankenden Stängeln, die ebenso gern flach über den Boden kriechen wie an Bäumen und Mauern hochklettern, nimmt er ständig neue Gegenden in Besitz. Er kommt aus dem Frick Park in die Gärten hineingekrochen oder sät sich mit Hilfe der Bienen aus, die die kleinen, unschuldsweißen Blüten lieben. Den auszurotten ist kein Kinderspiel. Man muss die volle Schutzausrüstung anlegen, bevor man ihn ausreißen kann. Unmöglich, den Mist zu verbrennen. Der Rauch ist mindestens ebenso giftig wie die Pflanze selbst. Jetzt spritzt er immer erst, ehe er ihn ausrupft. Vergiftet ihn mit einem Mittel, unter dem sich die Pflanze zusammenkrümmt, einrollt und das sie wegätzt.
Er blickt wieder aus dem kleinen Fenster. Endlich Küste, weiße Wellen rollen an einen Strand. Dahinter das Meer. Sauber. Schön und blau. Früher, vor langer Zeit, hat er den Wald gemocht. Ihren Wald. Die Hütte darin. Er war vierzehn, als er das erste Mal dort war. Mutter hatte ihn mit hinauf in die Hedmark genommen, zur Beerdigung ihres Vaters. Er hat nie verstanden, was sie dort zu suchen hatten. Wieso sie überhaupt zu dieser Beerdigung mussten. Er hatte seinen Großvater nie kennengelernt. Weil er ein Bastard war, weil er keinen Vater hatte. Aber vor allem, weil – obwohl Mutter nie darüber gesprochen hatte – es wohl stimmte, was die anderen Kinder über ihn sagten: dass er ein verdammtes Deutschenkind war.
Damals sah er zum ersten Mal, woher seine Mutter stammte. Der Hof, auf dem sie aufgewachsen war, erschien noch größer, als er ihn sich vorgestellt hatte. Hektar um Hektar Wald und Ackerland. Große und kleine Gebäude. Ein riesiges schneeweißes Wohnhaus mit zahllosen Zimmern.
Die Beerdigung war pompös, fast ein Staatsbegräbnis. Die Kirche war zum Bersten voll. Anscheinend waren die Bewohner aus der ganzen Umgebung da, saßen zusammengedrängt in den harten Bankreihen. Er hatte in der dritten Reihe gesessen, zusammen mit Mutter. Vor ihm seine neuerworbenen Verwandten: Großmutter, Tanten und Onkel, Vettern und Cousinen. Der Pfarrer sprach vom Großvater als dem großen Sohn der Landgemeinde. Anschließend sprach der Bürgermeister über den Waldbesitzer Ødegaard. Den Gemeinderat Ødegaard. Den Sägewerksbesitzer Ødegaard.
Hinterher durfte er seine Verwandten kennenlernen. Sie starrten ihn an, obwohl sie vorgaben, es nicht zu tun. Sie musterten ihn stumm von oben bis unten. Tuschelten in den Ecken. Sogar Großmutter, die zu den anderen Enkelkindern so herzlich war, behandelte ihn kühl.
Nur einer ging durch den Raum auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. Das war Mutters jüngster Bruder Nils. Er hatte wohl nichts gegen
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