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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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gekürzten und lesbaren Ausgaben. An ihren Wänden hängt Kunst. Richtige Gemälde. Klare, schöne Landschaften, gekauft auf Lanzarote. Ein Motiv mit azurblauem Meer. Eine smaragdgrüne Wiese mit grasenden Kühen. Ein Stillleben mit Früchten in frischen, kräftigen Farben. Und nicht zuletzt – das, was sie selbst gemacht hat: die Bilder mit den gepressten Blumen. Blumen zwischen Pappe und Glas, in runden und ovalen Rahmen. Aslaug mit ihren zwei linken Händen hätte so etwas nie zustande gebracht.
    Da macht es gar nichts, dass sie keine Blumen für den Tisch hat, sie hat ja diese. Schöne, kleine Sträuße; Veilchen, Butterblumen, Gänseblümchen, Lieschgras, Himmelsschlüssel. Leberblümchen, Witwenblumen, Storchenschnabel, Goldrute, Wildes Stiefmütterchen. Sie haben natürlich ein wenig Farbe verloren, sind hinter dem Glas herbstlich verblasst. Aber sie sind echt und nicht
ein Abbild
von etwas. Ein wirkliches Stück duftender Sommerwiese, lange vergangen. Hätte sie die Blumen nicht gepflückt und gepresst, wären sie längst zu Erde geworden. Jetzt sind sie konserviert. Und ihre Zartheit wird dadurch beinahe noch betont. Denn man kann sich leicht vorstellen, dass sie – falls jemand auf die Idee käme, den Rahmen zu öffnen – sofort zerbröseln und zu Staub zerfallen würden, zu nichts. So als hätte es sie nie gegeben.
    Es waren seltene, glückliche Momente, als sie sie pflückte. Auf Ekebergsletta, auf Hovedøya, auf Bygdøy und einige Male hoch oben in der Nordmarka. Wilhelm war meistens dabei. Das hatten sie wirklich miteinander geteilt. Denn obwohl er sich bei den meisten anderen Dingen ziemlich dumm anstellte, war er gut darin, Blumen zu finden. Sie erinnert sich, wie sie auf den grünen Wiesen standen und nach gelben, violetten und karminroten Flecken Ausschau hielten. Sie zusammen ausfindig machten, darauf zuliefen. Manchmal pflückten sie stundenlang Blumen, bevor sie sich eine Pause gönnten, sich ins Gras setzten und die Butterbrote aßen, die sie eingepackt hatte, und Saft dazu tranken. Es kam vor, dass er versuchte, auf ihren Schoß zu klettern. Und es kam vor, dass sie es zuließ. Sie kann sich nicht mehr genau erinnern, wie er aussah, der kleine Junge. Aber sie weiß noch, dass sie ihm dann manchmal mit der Hand über den Kopf strich. Über das dunkle Haar, das glänzte und warm von der Sonne war.
    Sobald sie wieder zu Hause angekommen waren, breitete sie die Blumen auf einer Zeitung auf dem Tisch aus. Sie untersuchte sie genau, eine nach der anderen, und sortierte die aus, die nicht mehr schön waren, die zerdrückte Blüten oder geknickte Stängel hatten. Anschließend schnitt sie weißes Seidenpapier in postkartengroße Stücke und legte die schönsten Exemplare behutsam darauf, arrangierte sie zu kleinen Sträußen, die ihre Zartheit und Anmut betonten, so, wie sie später gerahmt werden sollten. Sie legte ihre Seele da hinein, dachte sie immer. Und vielleicht floss wirklich etwas davon hinein. Wenn es denn so etwas wie Seele gab. Festgepresst. Zuerst zwischen Blättchen aus Seidenpapier, dann im Lexikon. Dort waren sie in Sicherheit, gut bewacht von berühmten Personen, von Fremdwörtern und Wissenswertem über Länder, Kontinente und Tierarten.
    Wenn er es schaffte, stillzusitzen und nichts anzufassen, durfte er zusehen, während sie arbeitete. Meistens hielt er es nicht lange aus. Fast immer brachte er etwas durcheinander, machte etwas kaputt.
Darin
lag nicht viel Seele, o nein. Er schien eher von einer Art bösem Geist besessen zu sein. Diese Ungeschicktheit. Dieses Gequengel. Diese Anhänglichkeit.
Weg!
Sie kneift die Augen zusammen, holt Luft und schluckt etwas hinunter, das an aufsteigendes Weinen erinnert. Ist ja gut. Gut. Er kommt ja zurück, endlich. Er kommt heute! Kein Grund, verzweifelt zu sein. Der Tisch ist gedeckt. Und nicht nur für Wilhelm, sondern auch für seinen Sohn! Denn man stelle sich vor, sie hat Robin die Einladung wirklich überreicht, hat sich tatsächlich getraut! Und er sah aus, als würde er sich richtig darüber freuen. Das wäre ja auch noch schöner. Natürlich hat er sich gefreut, seine Oma nach so vielen Jahren wiederzusehen!
    Wie sie den Moment herbeisehnt, den richtigen Moment, in dem sie sich unter Kontrolle hat und die richtigen Pausen einlegen kann, die richtige Portion Nachdruck, und es Aslaug erzählt – alles! Wenn das keine Familie ist, dann weiß ich auch nicht!
     
    Sie war lange nicht im Theater gewesen, das hatte sie schnell gemerkt. Denn

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