Der Wald wirft schwarze Schatten
während er darauf wartete, dass die anderen ebenfalls aufwachten, studierte er das Zeltdach über sich, die perfekten, beweglichen Silhouetten von Laub und Fichtenzweigen, und beobachtete die Insekten, die im Laufe der Nacht hereingekommen waren. Die Schnake, die über seinem Kopf saß, und einen Nachtfalter mit grauen Flügeln. Und er wünschte sich sehnlichst, aufstehen zu dürfen, seine Sachen zusammenzupacken und sich auf den Heimweg zu machen.
Ihr Haus hatte dicke Steinwände und mehrere Stockwerke. Dort hinauf konnte kein Ungeziefer kommen. Die Geräusche von draußen waren gedämpft. Es waren sichere Geräusche – bekannt, kontrolliert und von Menschen gemacht. Klassische Musik aus der Stereoanlage des Nachbarn. Rauschen in einem Abwasserrohr. Stimmen auf der Straße. Vorüberfahrende Autos. Schritte auf dem Bürgersteig. Sonntags Kirchenglocken und an besonders stillen Tagen der Vogelgesang im Park. Aber überall waren Menschen. Er wusste, dass sie da waren. Frau Sjödén. Familie Ljungquist. Die Ehepaare Lindholm und Hultgren. Menschen mit Antiquitäten, Büchern und Musikinstrumenten.
Und jetzt soll es ihm also wieder an den Kragen gehen. Wiederbelebung des kindlichen Pfadfindertraumas. Raus und in fremden Wäldern herumirren. Unter dünnen Wänden schlafen. Muss er? Nein. Er kann es auch sein lassen. Als verantwortungsbewusster Vater sollte man solchen wahnwitzigen Ideen wie Entdeckungsreisen, für die man nichts als eine Karte von einer schrulligen Alten hat, nicht nachgeben. Sie könnten woanders hinfahren. An einen Ort, an dem er sich auskennt. Die Hauptsache ist doch, dass sie etwas zusammen unternehmen. Und dass sie Spaß haben.
Er holt seine Rasiersachen raus. Der Spiegel ist vom Dampf aus der Dusche beschlagen, er sieht sich nur als undeutlichen Schatten. Mit dem Handgelenk wischt er den Spiegel sauber, begegnet seinem Blick. Doch, heute geht es ihm schon viel besser. Er nimmt die Rasierschaumdose und presst den weißen Schaum in die Hand, verteilt ihn auf Kinn und Wangen wie einen dicken Bart. Ho, ho, ho. Er kommt vom Nordpol, er ist der Weihnachtsmann. Und plötzlich hat er eine Idee. Sie werden das komplette Ausflugsvorbereitungsprogramm abspulen, als würden sie wirklich auf die große Entdeckungsreise gehen. Aber dann – anstatt stundenlang im Wagen zu sitzen – werden sie hoch zum Bogstadvannet fahren, das Auto auf dem Parkplatz abstellen und ein Stückchen in den Wald hinein Richtung Strømmsdammen gehen. Natürlich wird Lukas das eine oder andere wiedererkennen und anfangs sicher darauf reagieren. Aber dann wird er sagen: «Aber nein, wir gehen nicht denselben Weg wie sonst, wir gehen einen anderen Weg. Den Weg auf der Karte, mein Schatz.» Wozu ist er Schauspieler?
Natürlich müssen sie einen Umweg machen, aber sie werden immer in der Nähe des breiten markierten Pfades bleiben und ihn nicht aus den Augen verlieren. Sie werden die Geräusche der Straße hören und in der Nähe anderer Menschen bleiben. Oben bei Voksen Skog sind Wohnblocks. Er wird einen schönen Zeltplatz aussuchen. Eben und trocken. Und dann wird er sagen: «Jetzt sind wir am Ziel, jetzt sind wir da. An dem Ort auf der Karte. Näher geht’s nicht.» Und Lukas wird sofort anfangen, nach dem Schatz zu suchen.
Vielleicht sollte er dort sogar einen Schatz verstecken und irgendwo in der Umgebung eine Tüte mit Süßigkeiten oder ein Osterei hinlegen. Ostern im Herbst. Ho, ho, ho. Er wird so tun, als würde er alles für die Übernachtung im Zelt vorbereiten, aber aller Wahrscheinlichkeit nach wird es auch Lukas zu kalt und zu dunkel sein. Und dann kann er ihn leicht überreden. Dann brauchen sie nur zusammenzupacken und den halben Kilometer zurück zum Auto zu gehen und im besten Einverständnis, dass sie einen schönen Ausflug gemacht haben, nach Hause zu fahren. Wenn Lukas im Bett ist, kann er sich ein Glas genehmigen, eine Flasche, während er sich irgendeine einschläfernde DVD ansieht, einen alten James Bond, der am Ende die Welt rettet. Dann kann er sich in sein eigenes, trockenes und warmes Bett legen und, ohne sich zu fürchten, in einen traumlosen Schlaf fallen. Wenn das kein Plan ist!
Er geht ins Schlafzimmer, öffnet den Kleiderschrank und sieht seine Klamotten durch. Die meisten alten Dinger hat er weggeworfen, seit er sich Stück für Stück eine Garderobe zugelegt hat, die einem bekannten Schauspieler zu Gesicht steht. Urbane Kleidung. Italienische Anzüge, Hosen mit Bügelfalte, Hemden in allen
Weitere Kostenlose Bücher