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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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Abend etwas kälter, die Temperaturen gehen runter bis auf fünf Grad. Das passt gut. Dann wird Lukas anfangen zu frieren und nach Hause in sein Bett wollen. Und damit wäre ihre Expedition beendet. Lukas quetscht sich auf seinen Schoß und zeigt auf den Bildschirm.
    «Das ist verkehrt, Papa. Wir brauchen doch nicht die Wettervorhersage für Oslo.»
    Robert beißt die Zähne zusammen.
    «Wir sind in Oslo. Aber wir fahren in die Hedmark», fährt Lukas fort.
    «Oslo ist nicht nur die Stadt. Das ist ein großer Bezirk.»
    «Schweden liegt nicht neben Oslo, dann würden wir doch viel öfter hinfahren. Das hast du selbst gesagt. Wäre Schweden nebenan, würden wir Oma andauernd besuchen. Und Mama würde nicht so viel verreisen.»
    Robert stöhnt, geht hinüber zum Fenster und starrt hinaus auf das gelbe Laub. Der kleine Garten ist sonnendurchflutet. Warum in aller Welt müssen sie unbedingt einen Ausflug machen, wenn es doch zu Hause so schön ist?
    «Versuchst du zu mogeln, Papa?»
    «Wie kommst du denn darauf?»
    «Gib mir noch mal die Karte, dann zeige ich es dir.»
    Verdammt. Robert beugt sich über den Rucksack, zieht die Karte hervor und reicht sie Lukas, der sie ausbreitet. Er zeigt mit dem Finger darauf.
    «Guck doch! Genau, wie ich gesagt habe. Ich habe mir die Karte
genau
angesehen, weißt du?»
    «Du hast es erwähnt», murmelt Robert.
    «Wie gut, dass ich aufgepasst habe, sonst wären wir noch ganz woanders hingekommen. Wir hätten uns verirrt, und dann hätten wir auch keinen Schatz gefunden! Hast du einen Kompass eingepackt?»
    «Nein, ich glaube nicht.»
    «Wir müssen einen Kompass mitnehmen!»
    Robert erhebt sich schwer von seinem Stuhl. Mist. Jetzt müssen sie doch in diese vermaledeite Wildnis. Intelligente Kinder sind ein wahrer Fluch. Er geht in den Flur und öffnet die Krimskramsschublade unter dem Spiegel. Er kramt durch einsame Handschuhe, Skiriemen, Reflektoren und kaputte Fahrradlichter. Kein Kompass. Warum sollte er auch hier liegen? Er hat ihn seit Monaten nicht gesehen. Er geht in den Keller, mustert die Kisten unter der Treppe, hebt sie an. Hobby. Bücher. Schuhe. Papiere. Musik.
    Sein Handy klingelt. Er zieht es aus der Tasche. Es ist Anna.
    «Hallo, Robert», sagt sie munter. «Wie geht’s?»
    Er lässt sich schwer auf die Treppe sinken. Wenn es dich so brennend interessiert, warum bist du dann nicht hier?
    «Danke, gut.»
    Am anderen Ende bleibt es still. Weiß sie nicht, was sie sagen soll? Er wird das Eis jedenfalls nicht brechen. Robert betrachtet seine Fingernägel.
    «Und Klein Robert?»
    «Auch gut.»
    «Was habt ihr am Wochenende vor?»
    «Einen Ausflug.»
    «Wohin?»
    Das wüsstest du wohl gerne, denkt er. Aber du kannst nicht alles kontrollieren, weißt du? Long distance. Wenn du dich wirklich dafür interessieren würdest, wärst du hier, denkt er und weiß im selben Moment, wie kindisch er ist. Aber er will nicht dagegen ankämpfen. Nicht jetzt.
    «Mal sehen.»
    «Wollt ihr weit weg?»
    «Nein, nein.»
    «Ach, ich wünschte, ich wäre da.»
    «Aber das bist du nicht», sagt er.
    «Nein, das bin ich nicht», sagt sie.
    Es wird wieder still. Er hört ihren Atem am anderen Ende. Ein spezielles Geräusch, sehr speziell. Er stellt sie sich schlafend vor. Das Gesicht auf dem Kissen. Ein vorsichtiges Lächeln unter den geschlossenen Augen. Der Prinzessinnenmund in leichtem Schlaf. Küsst er sie, schlägt sie die Augen auf, sieht ihn an und lächelt.
    Wie er wohl aussieht, wenn er schläft? Das kann kein wirklich schöner Anblick sein. Wahrscheinlich bewegt sich sein Gesicht auf abstoßende Weise. Verzieht sich zu schiefen Grimassen, der Mund nach unten gezogen, die Stirn gerunzelt. Wie ein beschissenes Bildnis des Dorian Gray.
    «Ist alles in Ordnung?», fragt sie.
    «Absolut.»
    «Was wollt ihr essen?»
    «Was wir
essen
wollen?» Seine Stimme wird unsicher.
    «Irgendwas müsst ihr doch essen. Ich meine … ihr dürft die Mahlzeiten nicht vergessen. Lukas wird so …»
    «Wir grillen Würstchen», unterbricht er sie.
    «Denk dran, dass ihr auch was Nahrhaftes esst.»
    «Also ehrlich, Anna.»
    Sie lacht kurz auf. «Entschuldige. Ich weiß nicht, warum ich mir solche Sorgen mache. Ihr fahrt ja nicht weit weg.»
    «So ist es.»
    Er legt auf, erhebt sich, sieht sich um. Was wollte er hier unten im Keller? Er seufzt tief und geht wieder nach oben. Er fühlt sich so leer. Er hat einen Kloß im Hals, könnte sich einfach hinsetzen und losheulen. Warum in aller Welt ist er so gemein? Es

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