Der Wald wirft schwarze Schatten
aber nun ist er also dort gelandet. Damit hätte er rechnen müssen. Nicht, dass er Fornebu vermisst. Ihm hatte vor dem Wiedersehen mit dem Flughafen gegraust. Vor dem Wiedersehen mit den Hallen, die ihn einmal aus dem Land geführt haben. Durch die er gegangen ist, nur mit einer kleinen Reisetasche, mehr nicht. Eine schwitzende Hand um den Griff. Sein Mund war trocken, als er an die Sperre kam und der Frau in der blauen SAS -Uniform seinen Pass gab. Der Schweiß war ihm von der Stirn getropft. Er hatte gedacht, alle müssten es sehen.
«Sie reisen allein?», hatte sie gefragt.
«Ja.»
Sie hatte gelächelt, als sie ihm Pass und Boardingcard überreichte. «Dann gute Reise.»
«Vielen Dank», hatte er so breit lächelnd erwidert, dass ihm die Lippen an den Zähnen klebten, und war langsam zur Sicherheitskontrolle gegangen.
Schließlich war er am Flugzeug angekommen, an Bord gegangen, hatte seinen Platz eingenommen und gespürt, wie die Maschine abhob. Und er konnte auf die Welt hinabsehen, die er verließ. Auf den Wald, der immer kleiner wurde und immer mehr einer Landkarte glich. Bis kein Wald mehr da war, mit schmalen Pfaden unter hohen Bäumen, engen Schluchten und hellen Lichtungen. Nur noch Meer und Himmel.
Er war noch nie zuvor geflogen. Es reichte nicht, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Aber er versuchte, sich von dem Anblick vor dem Fenster gefangen nehmen zu lassen. Den Wolkenformationen. Dem blauen Meer dort unten. Einer Stadt, die unter dem orangefarbenen Himmel, in dem er sich befand, langsam sichtbar wurde, vom Smog gefärbt.
Der norwegische Wald ist jetzt nah, direkt vor dem Zugfenster. Er kann die Nadeln an den Fichten erkennen. Er lehnt sich im Sitz zurück und fängt zufällig den Blick des Kindes auf.
«Hallo, du Mann!», sagt das Kind und wirft den Kopf von einer Seite zur anderen, dass die blonden Locken wippen.
Er spürt Übelkeit aufsteigen, dreht das Gesicht wieder zum Fenster, starrt in den Wald. Niemand zu sehen dort drinnen. Keine Menschenseele. Nur hohe, dunkle Baumstämme, stumme Zeugen des vorbeirasenden Zuges. Es war wohl noch nicht einmal seins. Obwohl man mit etwas gutem Willen sagen könnte, dass es ihm ähnlich sah. Das Kind ist ja nicht sehr alt geworden.
Der Zug fährt jetzt wieder durch offene Landschaft. Äcker zu beiden Seiten. Er blickt zu den Wolken, die über den knallblauen Herbsthimmel gleiten. Schön und weiß. Aber niemals konstant. Unablässig lösen sie sich auf, wandern, verändern die Form.
Das Glück war nicht von Dauer. Denn das ist es ja nie. Man soll sich nicht so stark, glücklich und frei fühlen. So geliebt, so verliebt. Die Liebe ist nichts Reales, sondern Blendwerk.
Niemand hatte ihn jemals geliebt, also warum sollte sich das jetzt ändern? Liebe macht blind. Man sieht nicht, was wirklich ist. Sie macht einen zum Sklaven. Denn die eigentliche Herrschaft hat der Teufel. Und in allen Frauen steckt ein böses kleines Fotzenmaul, das einen von innen heraus auffressen und mit allen ficken will. Natürlich musste sie ihn eines Tages betrügen. Wie konnte er sich einbilden, es würde anders sein? Ein Gesicht wie eine Sphinx. Schön, ja. Ein leuchtend roter Mund und Sommersprossen auf der kleinen Nase. Sie sagte so wenig, tat so wenig. Machte fast nichts von sich aus. Spielte die Dünne, Ätherische, Schwache. Obwohl sie eigentlich stark war. Das konnte sie nicht verbergen. Die riesigen blauen Augen waren nicht unschuldig. Er hatte es gesehen, wenn sie malte. Mit welchen Farben sie sich umgab. Was sie auf die Leinwand klatschte, und mit welcher Todesverachtung. Wie es vom Pinsel spritzte. Flammend rot. Fegefeuergelb. Kohlschwarz. Orange wie heißeste Glut. Er sah, wie ihr Blick sich veränderte. Wie das erwachte, was wirklich in ihr steckte.
Vielleicht hatte sie ihn noch nicht betrogen, aber es würde passieren. Sie ging immer noch auf diese Schule, war umgeben von all den Kerlen, die andere Sachen beherrschten als er, feinere Sachen, andere Künste. Kunst. Er hatte sehr wohl gesehen, wie sie sie anglotzten. Sie brauchte nur den Gang, die Straße hinunterzugehen, schon zog sie alle Blicke auf sich. Natürlich würde sie mit ihnen schlafen.
Die Bestätigung kam während des gigantischen Open-Air-Konzerts oben am Holmenkollen. Dreißigtausend Jugendliche. Ragnarock mit Sonne, Staub, Pils und Prudence. Savage Rose, Popol Vuh und Pretty Things. Und nicht zuletzt die freizügige Kleidung. Sie war nicht die Einzige, die erhitzt von der Sonne
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