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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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Schweigaards Gate hinauf, auch hier sieht es fremd aus. Gesichtslose neue Häuser und ein Stück Brachland, auf dem offenbar gebaut wird, mit Kränen und Planierraupen. Erst als die Straßenbahn in die Oslogate fährt, ist es wieder wie früher. Da liegt der alte Ladegården, und direkt dahinter erkennt er die Schule. An der Station Oslo Hospital steigt er aus, bevor die Straßenbahn weiter hinauf Richtung Ekeberg fährt. Er stellt den Koffer ab und schaut sich um. Neues und Altes wechseln sich ab. Die Straße, die sich an der Mauer der alten Klinik entlangzieht, ist still.
    Er erinnert sich an die Ängste, die er als kleiner Junge ausgestanden hat, wenn er an dieser Mauer entlangging. Nicht, dass er die Irren, die Verrückten besonders oft gesehen hätte. Aber er wusste, dass sie da waren, auf der anderen Seite. Alle wussten das. Sie hatten ihre Gedanken nicht unter Kontrolle und hörten Sachen, die kein anderer hören konnte. Stimmen, die zu ihnen sprachen. Wenn du nicht artig bist, wirst du so enden wie sie. Du wirst eingesperrt und kommst nie wieder raus.
    Er geht die Konows Gate hinauf, vorbei an der alten Fabrik, in der immer noch die Schädlingsbekämpfung untergebracht ist. Vor denen hatte er wohl auch Angst. Malte sich in seiner kranken Phantasie aus, seine Mutter hätte sie angerufen, damit sie zu ihnen nach Hause kamen und Gift auslegten, das wie Naschwerk aussah, süße Köder, denen er nicht widerstehen könnte. Und dass er unter furchtbaren Schmerzen sterben würde.
    Weiter den Berg hinauf stehen überwiegend Neubauten, Wohnblocks und Reihenhäuser. Aber nachdem er all die Fassaden passiert hat, entdeckt er das Haus oben am Hang. Es steht genauso da, wie es immer dagestanden hat. Vielleicht nicht mehr schneeweiß, aber immer noch erhaben. Alt und grau wie eine abgedankte Königin. Ob sie wohl oben am Fenster sitzt und ihn beobachtet, so wie früher?
    Er bleibt kurz am Straßenschild stehen. Ribbunggata. Sieht wieder vor sich, was er immer sah, wenn er daran vorbeiging: das gespenstische Gerippe eines kleinen Jungen. Und dieser Junge war er selbst. Als er älter war, fand er heraus, dass der Name gar nichts mit Rippen und Jungen zu tun hatte, sondern dass die Ribbungen ein aufsässiger Wikingerstamm gewesen waren. Trotzdem ging ihm das Bild nie mehr aus dem Kopf.
    Die Straße ist genauso steil, wie er sie in Erinnerung hat. Immer noch gibt es keinen anderen Weg, kein Entrinnen, keine Abkürzung. Der Hang auf der rechten Seite ragt steil in den Himmel. Und die Häuserreihe links liegt still da, mit verschlossenen Türen, verschlossenen Gartenpforten und zugezogenen Vorhängen. Niemand, zu dem man gehen, niemand, bei dem man anklopfen kann. Es blieb einem nichts anderes übrig, als direkt nach Hause zu gehen.
    Die beste Zeit des Tages war, wenn er
bergab
ging, morgens. Er wartete immer bis zum letzten Moment, bis die Quälgeister vorüber waren. Dann steckte er vorsichtig die Nase zur Tür hinaus. Und hielt reichlich Abstand, bis er unten angekommen war und den etwas längeren Weg über den Friedhof nehmen konnte, zwischen den alten Gräbern hindurch. Dort war es so still, dass er es riskieren konnte zu träumen. Sich nach der Lehrerin zu sehnen und sich vorzustellen, dass sie ihn von allen am liebsten mochte. Dass sie, wenn sie ihn ansah und lächelte, es deswegen tat, weil sie ihn besonders gern hatte.
    Auf den Werkunterricht konnte er sich richtig freuen. Darauf, neben dem weißhaarigen Lehrer mit den großen Händen zu stehen, der nicht viel sprach, aber leise vor sich hin summte, während er ihm half. Geduldig mit der Säge. Geduldig mit dem Schmirgelpapier. Geduldig mit Nägeln und Schraubenzieher. Der ihn nicht zurückgestoßen oder angeschrien hatte, damals, als er viel zu hart mit dem Hammer zuschlug. Als er das Holzstück umbrachte, es zerstörte, dass die Splitter flogen. Dass die Tränen flossen. Er stand einfach neben ihm und wartete, bis er sich beruhigt hatte. Und legte ihm seine große Hand auf die Schulter.
    Er geht an dem anderen Schild vorbei, das tatsächlich immer noch an einem Baum oben auf dem Berg hängt. Das Schild, das einer der Väter aus der Nachbarschaft gemacht hatte.
Spielende Kinder.
Es hängt inzwischen schief, ist an den Rändern ganz morsch. Das sollte auch ihn beschützen. Obwohl er älter geworden war und gelernt hatte, sich zu wehren. Einer geworden war, den niemand mehr quälte. Der aber auch nicht mitspielen durfte. Er wollte es den anderen zeigen, als er mit dem

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