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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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dachte, sie hätte ihre Meinung geändert, hätte gesehen, dass er hier hineingegangen war. Er hob die Hand, um zu winken. Aber sie drehte nicht den Kopf, blickte sich nicht suchend im Lokal um. Vielmehr begrüßte sie den Kerl hinterm Tresen und begann mit ihm zu plaudern. Sie war genau wie früher, wie vor zwei Monaten, als sie noch zusammen waren. Ihr blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trug dieselbe hellblaue Jeans, die er so gut kannte, und dieselbe bestickte Bluse. Wie sie unmerklich ihren Nacken bewegte, die schlanken Arme streckte, als sie ihre Jacke an den Haken hängte. Er sah, wie sie eine Tür öffnete und dahinter verschwand, und dann kam sie in Arbeitskleidung zurück – einer Art Kittelschürze, die an die Uniformen der Saisonarbeiterinnen in der Schokoladenfabrik erinnerte. Immer trugen diese Mädchen zu kurze Röcke. Wenn man hinter ihnen die Treppe hochging, konnte man beinahe ihre Unterhosen sehen. Dieser Kittel war mindestens ebenso kurz, und er spürte, wie die Wut in ihm hochschoss. Du stellst dich also zur Schau. Arbeitest hier, um dich angaffen zu lassen von den Kerlen. Aber er beherrschte sich.
    Und jetzt drehte sie sich um und entdeckte ihn. Sie erstarrte. Sah ihn einen Moment lang an, ehe sie sich langsam wieder dem Mann hinter dem Tresen zuwandte und ein paar Worte mit ihm wechselte. Kurz darauf kam der Typ zu ihm herüber, pflanzte seine massigen Arme auf den Tisch. Dick und grob wie zwei Baumstämme. Starrte ihm ins Gesicht.
    «Ich muss Sie bitten, das Lokal zu verlassen», sagte er.
    «Kann ich mein Bier noch austrinken?», fragte Wilhelm.
    «Raus», sagte der Mann. «Sofort.»
    Er nahm es hin, erhob sich. Aber als er an ihr vorbeiging, fixierte er sie mit den Augen, hüllte sie mit seinem Blick ein. Sie sah zu Boden, ehe sie sich abwandte. Er blieb noch eine Weile vor dem Lokal stehen, innerlich leer. Dann ging er. Vorbei am Carl Berners Plass, nach Tøyen und weiter nach Grønland. Ging einfach immer weiter, den ganzen Weg bis zu seiner Wohnung in der Oslogate. Es war aus. Aus und vorbei. Er war ein Stück Dreck. War es immer gewesen.
    Ein paar Wochen später kündigte er seine Wohnung, ließ sich von seinem Job im Schlosspark beurlauben und bekam eine Stelle als Vertretungslehrer an der Gärtnerschule in Dømmesmoen bei Grimstad. Er unterrichtete Gartenbau und Gewächshaustechnik mit Schwerpunkt auf Zierpflanzen.
    Es war ein schöner alter Park. Weder davor noch danach hat er eine Gartenanlage gesehen, die ihm besser gefallen hätte. Nicht einmal der sagenumwobene Japanese Garden in San Francisco konnte es mit Dømmesmoen aufnehmen. Der Park war perfekt in die Landschaft integriert und über Jahrhunderte kultiviert worden. Ständig gehegt, immer mit der gleichen konsequenten Fürsorge. Die enorme Vielfalt an Gewächsen war in genau dem richtigen Verhältnis arrangiert, sodass die vielen exotischen Pflanzen überhaupt nicht unnatürlich wirkten. Die verschiedenen Bäume und Büsche – exakt beschnitten. Alles ausgeführt mit dem fundierten Wissen, welche Temperaturen und Windverhältnisse die Pflanzen vertragen und wie viel Sonne, Wasser und Wärme sie benötigen. Gute und vorausschauende Planung. An so etwas ist heute keiner mehr interessiert. Seine Kunden sind es jedenfalls nicht. Sie können nicht warten. Sie wollen, dass alles auf der Stelle schön ist. Schnelle Lösungen. Sie lassen große Bäume abholzen und ärgern sich anschließend, dass ihr Garten zu wenig Schatten hat. Wollen dichte Hecken zum Nachbargrundstück, aber sofort. Ohne sich vorstellen zu können, wie die Thuja in zwanzig Jahren aussieht.
     
    Unter seinen Studenten waren mehrere Mädchen, sicherlich hübsche und nette. Aber er sah sie nicht. Elise war immer noch in seinem Kopf, in seinem Körper, wie eine Krankheit, eine Infektion. Nach einer Weile begann er sich mit ihr zu unterhalten. Und sie antwortete ihm. Später begann sie ganz von selbst zu reden. Manchmal wachte er mitten in der Nacht von ihrer Stimme auf. So wie er sie auch später hörte, als sie nirgends mehr war.
    Er stellte sich vor, dass er mit ihr zusammen im Rosengarten war und sie herumführte. Sind die nicht wunderbar?, würde er sagen. Sind die nicht schön? Nicht so schön wie du, natürlich. Er würde sagen: Diese heißt Chloris und diese Celsiana. Und die Pinkfarbene dort heißt Belle Amour. Schöne Liebe, mein Liebling. Und dann würde er bei einer der historischen Rosen stehenbleiben, einer zartrosafarbenen, und sagen:

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