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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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jetzt.»
    «Du kriegst mich nicht!»
    «Komm jetzt, raus da mit dir.»
    «Wolf und ich bleiben hier.»
    «Du kommst jetzt da raus. Sofort!»
    Er versucht, den Jungen zu fassen zu kriegen, tastet nach ihm. Lukas tritt nach seiner Hand und trifft seine Finger. Schnell zieht Robert die Hand zurück, das tat weh.
    «Verdammt noch mal!»
    «Du hast gesagt, wir übernachten hier.»
    «Das habe ich nicht gesagt.»
    «Hast du doch! Sonst ist es keine Entdeckungsreise.»
    «Du verdammter Bengel!», brüllt er. «Verdammter Mistbengel.»
    «Das sage ich Mama! Jetzt komme ich erst recht nicht raus.»
    Robert steht vom Bett auf, nimmt die Flasche und geht nach draußen.
    Erinnerst du dich an den Herbst? An den klaren Himmel, das reifbedeckte Moos? An das goldene Laub an den Bäumen, ehe es heruntergerissen wurde, abgerupft vom Wind? An den Morgennebel, die eiskalten Schwaden, die über das Moor trieben? Sie treiben noch immer, langsam und anmutig, in kleinen Formationen. Weißt du noch, dass du gesagt hast, es sehe aus wie ein Elfentanz?
    Es sind wirklich Elfen. Das weiß ich jetzt. Kleine, zitternde Geschöpfe. Ich schmiege mich trotzdem an sie und lasse ihre Feuchtigkeit durch mich hindurchziehen. Manchmal schaudere ich leicht, während ich ein bisschen an ihnen zupfe und mich zu erinnern versuche, wie der Geschmack von Nebel war, von diesem Lebendigen, Kühlen, Frischen und Feuchten.

[zur Inhaltsübersicht]
    25
    Er lenkt den Wagen durch die sanften Kurven im Groruddalen, gleitet an den Vorstädten vorbei. Bjerke, Veitvet, Linderud, Kalbakken. Abgesehen von ein paar neuen Balkons hier und dort, ein paar neu angestrichenen Häusern sieht es aus wie früher. Er passiert die Wohnsilos in Ammerud. Keine Veränderung. Die riesigen Hochhäuser stehen wie gigantische Bauklötze auf der weiten Ebene. Dicht bevölkert wie Ameisenhaufen. Ein Ort, wo man in Einsamkeit leben kann. Keiner braucht von einem zu wissen, und man selbst braucht sich um niemanden zu kümmern. Keiner würde merken, wenn man verschwindet.
    Er hatte sie über die Schwelle getragen, hatte sie vorsichtig hochgehoben und wieder abgesetzt. Wie behutsam er gewesen war. Sie hatte leise gelacht, oder nicht? Auf jeden Fall hatte sie gelächelt. Es würde alles wieder gut werden, alles ganz wunderbar.
    Das Kind kam im Krankenhaus Aker zur Welt. Es hatte dichtes, schwarzes Haar, war klein und leicht. Den Jungen im Arm zu halten war, als hielte man nichts im Arm. Wenn man sich vorstellte, dass dies ein Mensch war. Dass er einmal ein erwachsener Mann sein würde. So dachte er damals. Ein großer, erwachsener Mann. Und er betrachtete die Finger, die Füße, die so winzig klein waren, die Nase und den Mund und die Augen. Seine Mutter sagte, er sehe ihm ähnlich. Aber alle Neugeborenen sehen gleich aus. Das weiß jeder. Man kann unmöglich sagen, dass sie irgendwem ähnlich sehen. Es hätte genauso gut das Kind eines anderen sein können.
    Elise mochte nicht, dass er ihn hielt. Er merkte es an ihrem Blick. Daran, wie sie die Arme nach dem Kind ausstreckte und sagte, dass es gefüttert oder gewickelt werden müsse. Irgendwann nahm er es nicht mehr auf den Arm. Überließ es ihr, sich damit zu beschäftigen. Ihm war es egal. Er mochte den kleinen Jungen mit den kurzen, krummen Beinchen nicht einmal, der schließlich in den Wald hineinlief. Vor ihm davonlief, voller Angst. Wie er ihn ansah, bevor er wegrannte. Glotzte wie eine verdammte Ausgeburt. Was zur Hölle hast du getan?
    Er schwitzt. Er muss seine Jacke ausziehen. Er fährt an den Straßenrand, steigt aus, atmet tief durch. Ein Stück weit entfernt, im blauen Halbdunkel, steht ein einsames Haus. Aus einem Fenster, vielleicht dem Küchenfenster, fällt orangegelbes Licht. Gestalten bewegen sich dort drinnen. Eine Familie am Abendbrottisch. Er fährt sich wieder mit der Hand über die Augen und setzt sich ans Steuer.
     
    Elise kam zurück, sie heirateten und bekamen ein Kind. Er war den ganzen Tag auf der Arbeit, während sie zu Hause auf das Kind aufpasste. Es gab nicht viel zu tun in der kleinen Wohnung. Deshalb fand er es in Ordnung, dass sie daheim mit ihren Bildern weitermachte. Es gefiel ihm zwar nicht, aber es war immer noch besser, als wenn sie weiter zu dieser Kunstschule gegangen wäre. Solange sie nur die Leinwände mit den wütenden rot glühenden Farbklecksen umdrehte, bevor er nach Hause kam. Trotzdem – er fühlte sich nie ganz sicher.
    Er wollte wissen: «Wo warst du heute?» Sie sagte: «Hier.» Er sagte:

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